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Die Deutschen und die Krim

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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas rief in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag am 31. Januar 2024 auch den Vernichtungsfeldzug der Hitlerwehrmacht in Osteuropa ins Bewusstsein:

„[E]rinnern wir uns in diesem Jahr besonders an die Opfer der deutschen Besatzungs- und Vernichtungspolitik in Mittel- und Osteuropa [und] an all diejenigen, die als Kriegsgefangene und […] Zwangsarbeiter ausgebeutet und entrechtet wurden. […]“

Bärbel Bas (2024), Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus; https://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2024/20240131-988016

Damit verbindet sich ein immanenter Lehrauftrag: „Wir brauchen mehr politische Bildung […] auch und gerade in Schulen.“ (Ebd.)

Einen geeigneten Aufsatz für den Einsatz im Geschichtsunterricht in Klasse 9 und 11 zu diesem Thema bietet der Beitrag von Bert Hoppe in der aktuellen Ausgabe der APuZ (6-8/2024).

Hoppe, Bert (2024), Schatten der Weltkriege. Die Deutschen und die Krim. Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), 74(6-8/2024), 33-39.

Hoppe konstatiert dabei eine entlarvende „Unkenntnis“ weiter Teile der deutschen Bevölkerung gegenüber Osteuropa, verknüpft mit Selbstmitleid. Anekdoten, wie die von Joseph Beuys über einen Flugzeugabsturz als deutscher Landser 1944 auf der Krim, reihen „sich ein in die zahllosen Erzählungen deutscher Kriegsteilnehmer, in denen das eigene Leid überhöht, das der Menschen in den überfallenen Ländern hingegen ausgeblendet wird“ (Hoppe, 2024, S. 34).

Im Fall der Krim datieren deutsche Besatzungspolitik und -Weltmachtphantasien bereits auf das Ende des Ersten Weltkrieges. Die Kriegsbegeisterung von 1914 ist spätestens mit dem Kohlrübenwinter 1916 dahin, der innenpolitische Burgfrieden brüchig. Während im Westen trotz Giftgaseinsatz keine mehr Erfolge zu verbuchen sind, bricht die Reichswehrsführung im Osten ihren Diktatfrieden von Brest-Litowsk mit der jungen bolschewistischen Regierung und besetzt im April 1918 die Krim. General Ludendorff sieht die Krim dabei „als Ausgangspunkt für die Ausübung deutscher Herrschaft bis in den Kaukasus hinein“ (Hoppe, 2024, 36). Die Novemberrevolution in Deutschland vertreibt den Kaiser jedoch aus dem Neuen Palais und die deutschen Truppen ziehen von der Krim und aus der Ukraine ab. 

Im Unterschied zu Ludendorff „spielten für die Nationalsozialisten spezifisch völkische Motive eine Rolle“ für ihre „Lebensraumpolitik“ auf der Krim.

„Hitler äußerte im kleinen Kreis am 16. Juli 1941, [die Krim] müsse ‚von allen Fremden geräumt und deutsch besiedelt werden‘“

(Hoppe, 2024, S. 37).

Bildquelle 2 aus dem Bundesarchiv Koblenz (F016222-0043A) verdeutlicht, was das für die Bürger der Sowjetunion auch auf der Krim bedeutete. Die Quelle findet sich auch im Dokumentationszentrum „Topografie des Terrors“ in Berlin.

Abb. 2.: „Erhängte sowjetische Partisanen, vermutlich Jalta, Krim, undatiert (1942).Quelle: Stiftung Topografie des Terrors (Hrsg.), 5. Aufl. 2018 [2010], Topografie des Terrors, Berlin, S. 315.

Bis Ende 1941 ermordeten Reichswehr und Einsatzgruppen auf der Krim 60.000 Juden. 

Hoppe, 2024.

Um mit Bärbel Bas zu schließen, „‚Nie wieder!‘ – […] bleibt eine Aufgabe für unsere gesamte Gesellschaft“ – das gilt gerade auch für Judenhass und die Verbrechen Hitlerdeutschlands in der ehemaligen Sowjetunion.

Abb. 1 (oben): Quelle: Hoppe, 2024, S. 33.

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Geschichte

Einsichten und Enttäuschungen zu Weihnachten

Krenz, Egon (2023): Gestaltung und Veränderung. Erinnerungen. Berlin: Edition Ost. 446 Seiten, 26 Euro.

„Der Zeitzeuge ist der natürliche Feind des Historikers“ —- an dieses Bonmot der Historikerzunft erinnerte uns junge Studenten damals der Leiter des Universitätsarchiv Heidelberg, Prof. Dr. Werner Moritz. Verzerrte Wahrnehmung oder simple Erinnerungslücken führen dazu, dass zwei Menschen über ein identisches (historisches) Ereignis zwei bisweilen vollkommen unterschiedliche Erzählungen abliefern. 

Gerade aus den inneren Zirkeln der Macht haben wir aber oft keine andere Informationen über informelle Abläufe und Entscheidungen, als die nachträglichen Schilderungen derjenigen Personen, die dabei waren.

Abb. 1: Empfang für den sowjetischen Staats- und Parteichef und seine Frau Raissa. Die beiden versahen das Foto für Erika und Egon Krenz mit ihren Autogrammen, 1986. Quelle: Krenz, 2023, XXIV.

Mit großer Spannung habe ich daher den medial groß angekündigten Band 2 der Erinnerungen von Egon Krenz erwartet. Ich war speziell an einem Vergleich der Darstellung vom November/Dezember 1989 durch prägende DDR-Akteure interessiert. Denn Gregor Gysi schildert in seiner Autobiografie folgende Begebenheit: 

Am 4. November [1989, der bisher größten Demonstration in der DDR mit einer halben Million Menschen] auf dem Alexanderplatz hatte ich vor einer großen Öffentlichkeit dazu aufgerufen, Egon Krenz als neuen Generalsekretär des ZK der SED eine Chance zu geben. Vier Wochen waren seitdem verstrichen, Krenz hatte er seine Chance nicht genutzt. Er zeigte sich überfordert, und es war abzusehen, ihm würde kein Denken in neuen Dimensionen und kein Handeln in reformierten Strukturen gelingen — ich wollte ihn nun genauso fernsehöffentlich wie am 4. November zum Rücktritt auffordern. Tausende standen am 2. Dezember [1989], dem Tag der Kundgebung, vor dem ZK-Gebäude. Plötzlich erschien Egon Krenz. Es fiel mir in seine Anwesenheit schwer, aber ich sagte, was gesagt werden muss: ich erklärte, und das unter dem Beifall sehr viele Parteimitglieder [der SED] auf dem Platz, dass er zurücktreten müssen . 

(Gysi, Gregor, 3. Auflage 2020, Ein Leben ist zuwenig. Die Autobiografie, Berlin: Aufbau Verlag, S. 273)
Abb. 2: Gregor Gysi am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Quelle: Gysi, 2020.

Und was sagt der gescholtene Egon Krenz dazu? Das akademische Jahr endet hier mit einer herben Enttäuschung. Band 2 der Erinnerungen beginnt 1973 und endet 1988. Gerade als es spannend wird, vertröstet uns der Autobiograf Krenz auf einen zukünftigen dritten Teil seiner Autobiografie. So besteht das Buch vor allem aus Anekdoten „für die Enkel“, Geschichten, über sicherlich bedeutsame Ereignisse und Entscheidungen in seiner Funktion als Chef des Jugendverbandes der DDR, der FDJ und später Mitglied im ZK der SED. Leider kratzen diese viel zu oft nur an der Oberfläche. Vieles bleibt unausgesprochen, so dass man sich mit Blick auf den Untertitel „Gestaltung und Veränderung“ fragt, worin denn die konkreten Veränderungen bestanden haben.

Konkreten Mehrwert bieten die Erzählungen bei einigen außenpolitischen Fragen, u.a. im Verhältnis China-DDR-UdSSR. Dazu aber mehr in einem weiteren Post im neuen Jahr.

Abb. 2: Smalltalk mit Udo Lindenberg (links) und Egon Krenz (Mitte), Quelle: Krenz, 2023, XIII.
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Geschichte Lehren&Lernen

Autobahn und Reichsgaragenordnung

Deutschlands brauner Weg in die Autogesellschaft.

Knie, Andreas (2023): Deutschlands Weg in die AutomobilgesellschaftVerkehrspolitik im Schatten des NS. APuZ, 73 (51-52/2023), S. 9-15.

Impuls für den nächsten Geschichtsunterricht: Kraftfahrtzeugführer auf dem Weg von Berlin in Richtung polnische Grenze passieren an der A12 ein großflächiges Hinweisschild mit der Aufschrift „ Autobahn der Freiheit“. Historisch weitgreifender wäre eine Ergänzung um ein weiteren Hinweis „gebaut von Zwangsarbeitern“. 4.000 Kilometer „Nur-Autostraßen“ waren dabei nur ein Element der NS-Programms zur Popularisierung des Autos. Detailliert und dennoch kurzweilig zeigt Andreas Knie in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) auf, wie die Nazis ab 1934 die „rechtlichen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen und kulturellen Grundlagen“ für den „Katapultstart“ der Autogesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg schufen. Wie zum Beispiel die Reichsgaragenordnung von 1939. All das und noch viel mehr im Artikel online unter https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/lokale-verkehrswende-2023/543680/deutschlands-weg-in-die-automobilgesellschaft/

Abb. oben: Werbeblatt für die Internationale Automobil- und Motorrad-Ausstellung 1933 in Berlin. Quelle: Knie (2023, S. 11).