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Brandenburg Frankfurt (Oder) Geschichte Lehren&Lernen

»Urbane Revolution«: Die Stadt im Mittelalter

Buchbesprechung zu Graichen, Gisela und Matthias Wemhoff, 2024, Gründerzeit 1200: Wie das Mittelalter unsere Städte erfand. Berlin: Propyläen. 457 Seiten, ISBN 978-3-549-10065-3, Hardcover, 29,00 Euro.

Die Journalistin Gisela Graichen und der Berliner Landesarchäologe Prof. Dr. Matthias Wemhoff haben sich zusammengetan und bringen uns in ihrem Buch die »urbane Revolution« wieder, die sich im Heiligen Römischen Reich um 1200 abspielt. Gemeint sind damit die unzähligen Neugründungen von Städten um 1200. »Die weitaus größte Zahl der Städte in Deutschland entstand im 12. und 13. Jahrhundert.« (Graichen und Wemhoff, 2024, S. 195).

Frankfurt an der Oder, Müncheberg, Straußberg, Potsdam, Brandenburg an der Havel, die mittelalterliche Doppelstadt Berlin-Cölln, Cottbus, Bautzen, Freiburg im Breisgau, Speyer und Worms wurden etwa zwischen 1100 und 1250 gegründet.

Die Neuerscheinung zeigt den enormen Beitrag, den die Archäologie als eigenständige Wissenschaft für die Geschichtswissenschaft leistet. Anhand von Fallbeispielen zu einzelnen Städten legen die Autoren in einem Dutzend Kapiteln frei, wie Deutschlands Städte bereits vor 800 Jahren ihre oft bis heute prägende Gestalt erhalten.

Ich greife für meine Besprechung aus dem Buch die Fallstudie zu Freiburg heraus. Anschließend übertrage ich die Befunde auf die Stadt Frankfurt an der Oder, die in dem Buch nicht explizit behandelt wird, in der ich aber aktuell lebe und arbeite.

Nicht zu übersehen: Das Freiburger Münster prägt bis heute die Freiburger Altstadt. (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.

Freiburg i. Bsrg. erhält sein Marktrecht und Gründungsprivileg urkundlich belegt im Jahre 1120 von Konrad von Zähringen:

»Kundgetan sei […] dass ich […], an einem Ort, nämlich Freiburg, einen Markt errichtet habe, im Jahr 1120 nach der Menschwerdung des Herrn«

(Graichen und Wemhoff, 2024, S. 196).

Kernanliegen der Gründung durch die Zähringer ist die Schaffung eines Marktes, insbesondere für das Silber aus dem angrenzenden Schwarzwald. Der Marktplatz Freiburg ist dabei wie jeder Stadt des Mittelalters ein durch eine Stadtmauer klar abgegrenzter Raum. Mauern und Tore zum kontrollierten Einlass sind markante Symbole einer mittelalterlichen Stadt. Innerhalb der Stadtmauern folgt der Aufbau von Freiburg dem Idealbild einer mittelalterlichen Stadt: von einer zentralen Hauptstraße entfaltet sich das Straßennetz, im Kern der Stadt befindet sich die Kirche und auf einer etwas bereiteren Straße ist der Marktplatz untergebracht. Bis auf den heutigen Tag erkennt der touristische Besucher diese 800 Jahre alte Grundstruktur.

Das Martinstor in Freiburg, eines von fünf mittelalterlichen Stadttoren. (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.

Freiburg trumpft durch zwei Besonderheiten auf: das Münster und das Bächle. Letzteres bezeichnet ein System von kleinen Kanälen zur Brauchwasserzufuhr bis an fast jede Haustür. Das Münster wird bereits ab dem 12. Jahrhundert als Pfarrkirche errichtet. Es ist das einzige gotische Bauwerk, dass noch im Mittelalter vollständig beendet wird.

Blick vom Freiburger Münster. (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.

Fazit: Die Denker der Aufklärung haben im 18. Jahrhundert die Fake News vom »dunklen Mittelalter« produziert, um ihre Ideen umso heller leuchten zu lassen. Graichen und Wemhoff legen ein gut lesbares Buch vor, dass die Innovationskraft der Städte für Gesellschaft des Mittelalters anschaulich macht. Sie liefern einen weiteren empirischen Beleg dafür, dass am Mythos vom finsteren Mittelalter nicht viel dran ist.

Anwendung für den Geschichtsunterricht

Die Anwendung für den (gymnasialen) Geschichtsunterricht liegt auf der Hand: erkunden Sie mit Ihren Kindern und Schülern ihre eigene Stadt. Welche mittelalterlichen Gebäude, Straßennamen und Strukturen in der Altstadt haben bis heute überdauert?

Als Einstieg bietet sich eine tagesaktuelle Stadtkarte an. In einem zweiten Schritt können Sie diese mit einem älteren Druck vergleichen lassen. Welche Gebäude von »damals« prägen das Stadtbild bis »heute«? Und in einem dritten Schritt können die Schüler die mittelalterliche Stadtgeschichte selbst erkunden. Wer macht das schönste Foto und/oder Selfie vor dem mittelalterlichen Rathaus, in der Schmiedegasse oder der ältesten Kirche der Stadt?

Faksimile Stadtansicht Francofurtum / Frankfurt an der Oder, um 1700. Unbekannter Autor.

Das funktioniert etwa mit Frankfurt an der Oder ganz hervorragend. Trotz der Zerstörungen durch den Fanatismus des Hitlerregimes prägen die mittelalterlichen Strukturen bis heute das Stadtbild. Reste der Stadtmauer wurden konserviert. Die Friedenskirche ist bis heute erhalten. Und das mittelalterliche Rathaus hat die Stadt für 32 Millionen sanieren lassen. Der Marktplatz ist auch heute Handelsplatz für lokale Nahrungsmittel (sofern wenn man Donnerstags vormittags Zeit zum Einkaufen hat …).

Rathaus der Stadt Frankfurt (Oder), 2024, (c) Dr. Tim Jäkel.
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Netzwerk mit Big Business: der Zisterzienserorden und das Kloster Neuzelle

»Die Zisterzienser spielen im christlichen Europa des zwölften Jahrhundert eine bedeutende Rolle. Besonders wichtig ist ihr Einfluss im Zusammenhang mit der europäischen Expansion nach Osten, in Gebiete jenseits der Elbe. Die Gründung des Ordens geht auf den Bau des Mutter Klosters Citeaux ab 1098 zurück. […] Die zisterzienische Ordensregel beruht auf der Suche nach Abgeschiedenheit und der Autarkie der Abteien, aber auch auf einer solide, netzwerkartigen Organisation der Abteien untereinander.« (Grateloup, 2023, S. 159).

Ansicht auf die Klosteranlage von Süden. Quelle: Stiftung Stift Neuzelle, 2021.
Stiftung Stift Neuzelle (Hrsg.), 2021, Atlas des Zisterzienserstifts Neuzelle. 2. Auflage, Berlin: vbb. ISBN: 978-3-96982-023-0, 30,00 Euro.

Der einzigartige Stiftatlas des Klosters Neuzelle aus dem 18. Jahrhundert veranschaulich diese netzwerkartige Struktur der Zisterzienserklöster exemplarisch für 1268 gegründete Tochertkloster im heutigen Brandenburg, welches damals am Rande des Römischen Reiches liegt.

Der Atlas mit dem barocken Titel »General-Plan Neu-Zellischen Stiffts-Territorii« visualisiert und erfasst mit äußerstes Genauigkeit die Eigentums-und Besitzverhältnisse des Klosters im 18. Jahrhundert. Das Kloster zeigt sich im Atlas als wirtschaftlich autarke Organisation. Es wird deutlich, dass die Zisterzienser »eine sehr Weltzugewandte Mönchsgemeinschaft waren, […] die Himmel und Erde auf sehr produktive Weise miteinander zu verbinden« verstanden (Lindemann, 2021, V). 

Abb. 2. Herrschaftlicher Besitz des Klosters Neuzelle in Ziltendorf, Krebsjauche [das heutige Wiesenau] und Vogelsang. Mit dem Zeichen H gekennzeichnete Gebiete sind im Besitz des Klosters. Quelle: Stiftung Stift Neuzelle, 2021, [S.] 30. 

Die ursprüngliche Funktion des Neuzeller Stiftsatlas bestand darin, bestehende Grenzen von Feldern, Wiesen und Wäldern im Besitz des Stiftes aufzuzeigen und somit Rechtsverhältnis zu klären. Die Kloster Administration versuchte, durch die Vermessung des gesamten Stiftsgebietes ihre Herrschaft zu sichern (Crom, Klemp, 2021). 

Wie ein Netz ziehen sich Verbindungen von Neuzelle zu zahlreichen anderen Tochterklöstern. Kloster Neuzelle verfügt über umfangreiche Besitzungen und Ländereien im Gebiet des heutigen Landkreis Oder-Spree. Ich habe exemplarisch eine Karte mit der Stadt Fürstenberg an der Oder ausgewählt, heute ein Stadtteil von Eisenhüttenstadt.Gebiete, die mit dem Symbol H gekennzeichnet sind, befinden sich im Besitz des Klosters. Neuzelle bezieht wie gesamte Orden der Zisterzienser seine starke Stellung somit aus einem Netzwerk an Dependancen und seiner wirtschaftlichen Macht als weltlicher Grundherr — Sakrales Big Business.

Abb. 3. Herrschaftlicher Besitz des Klosters Neuzelle in Fürstenberg. Mit dem Zeichen H gekennzeichnete Gebiete (gelbe Färbung) sind im Besitz des Klosters. Quelle: Stiftung Stift Neuzelle, 2021, [S.] 31.

Die Karten im Atlas, der sich heute im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin befindet, besitzen das Format 34,4 × 24,1 cm. Sie sind »auf Papier gezeichnet, koloriert und auf Leinen aufgezogen« (Crom, Klemp, 2021). Für die Mitte des 18. Jahrhunderts demonstriert der Atlas eine ausgezeichnete Messgenauigkeit. Es handelt sich damit für Historiker um eine »hervorragende Quelle für die Landeskunde des 18. Jahrhunderts« (Crom, Klemp, 2021). Der zweite Mehrwert liegt in der »Aura des Besonderen«

Das Haptische, dass In-den-Händen-Halten und sei es ein Faksimile, versetzt den Geist des Betrachters sofort in eine andere Zeit«. Das bringt dem Betrachter Freude und Genuss.

(Crom, Klemp, 2021)

Didaktische Umsetzung im Geschichtsunterricht

Wie lässt sich diese Begeisterung auf die Schüler im Geschichtsunterricht am Gymnasium nutzbar machen? Am besten mit einem kleinen Karten-Such-Quiz. Betrachten Sie die folgende Karte aus dem Atlas und begeben Sie sich auf die Suche:

  • Mit welchem lateinischen Namen bezeichnet die Karte Neuzelle?
  • Finden Sie die heutige Stadt Frankfurt (Oder) auf der Karte. 
  • In welcher böhmischen Kapitale befindet sich ebenfalls ein Kloster der Zisterzienser? 
Abb. 1: Lage der Kloster des Zisterzienserordens in Böhmen und der Lausitz (Lusatia). Quelle: Stiftung Stift Neuzelle, 2021, [S. I].
Klosterkirche Neuzelle, (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.

Referenzen

Crom, Wolfgang, Egon Klemp, 2021, Der Neuzeller Stiftatlas – ein hervorragendes Quellenwerk für die Landeskunde des 18. Jahrhunderts. In: Stiftung Stift Neuzelle (Hrsg.), Atlas des Zisterzienserstifts Neuzelle. 2. Auflage, Berlin: vbb, S. VII-IX.

Grateloup, Christian, 2023, Karte »Der Zisterzienserorden: Mutter und Töchter«. In: Ders., Die Geschichte der Welt. Ein Atlas. München: C.H. Beck, S. 159.

Lindemann, Rolf, [Vorwort]. In: Stiftung Stift Neuzelle (Hrsg.), Atlas des Zisterzienserstifts Neuzelle. 2. Auflage, Berlin: vbb, S. V.

Stiftung Stift Neuzelle (Hrsg.), Atlas des Zisterzienserstifts Neuzelle. 2. Auflage, Berlin: vbb.

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Brandenburg Geschichte

Klostergarten Neuzelle

Einen interessanten Blick auf auf eine bekannte Sehenswürdigkeit in Ostbrandenburg erlaubt uns der »Grund-Riss des Stiffts und Closters Neuzelle« im Atlas des Zisterzienserstift aus dem Jahr 1755 (Abb. 1). Das Original des Atlas befindet sich in der Staatsbibliothek Berlin. Das moderne Kloster Neuzelle lockt die Besucher mit seinem Konventgarten (Abb. 2) und der Orangerie für die Überwinterung der Südfrüchte (Abb. 3).

Konventgarten im Kloster Neuzelle, (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.

Das Kloster Neuzelle liegt 4 km südlich der Stahlstadt Eisenhüttenstadt wurde wie die gleichnamige Gemeinde 1268 gegründet. Im Zuge der territorialen Neuordnung und des Reichsdeputationshauptschlusses wurde das Kloster 1817 aufgelöst. Es befindet sich heute im Besitz des Landes Brandenburg bzw. der Stiftung Neuzelle.

Organgerie des Konventgartens im Kloster Neuzelle, (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.

Die Zisterzienser lebten nach den Regeln des heiligen Benedikt von Nursia (6. Jahrhundert). Unzufrieden mit der laschen Entwicklung des gleichnamigen Benediktinerordens gründete sich im 12. Jahrhundert in der ostfranzösischen Stadt Citeaux der Orden der Zisterzienser. Der Orden breite sich in der Folge rasch bis an die Grenzen des damaligen Römischen Reiches aus.

Klosterkirche im Kloster Neuzelle, (c) Dr. Tim Jäkel, 2024.
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Kunst im öffentlichen Raum

… ist die transparente Weltkugel von Prof. Dr. Günther Junge aus dem Jahr 1977 in Potsdam. Auf zwei geflochtenen Stahlbändern —- bestimmt aus dem EKO Eisenhüttenstadt  —- legen sich zwei Zitate um den Globus. Die 11. Feuerbachthese von Karl Marx sowie Goethes Ausspruch „alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“. Zu DDR-Zeiten stand diese Kunst vor der Hauptbibliothek in Potsdams Zentrum. Heute erblicken sie die Menschen auf dem Weg zum Einkaufszentrum an der Havelbucht vis-a-vis dem Maschinenhaus (übrigens, es ist keine Moschee, auch wenn es so aussieht) #Potsdam #kunstimöffentlichenraum #feuerbachthesen

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Herr von Ribbeck auf Ribbeck im …

Genießen Sie bei herrlichem Altweibersommerwetter einen Ausflug ins Potsdamer Umland, z. B. nach Petzow, und erfreuen Sie Ihre Begleitung mit der passenden Ballade.

Kirche Petzow

Zur Vorbereitung ein kleiner Arbeitsauftrag: Vervollständige Sie anhand der Bildimpulse die fehlenden Wörter im Text und stellen Sie begründete Vermutungen über den Autor an.

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im __________ (Abb. 1),
ein __________ (Abb. 2) in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit,
und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenns Mittags vom __________ (Abb. 3) scholl,
der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
so rief er „Junge, wist ‘ne Beer?“
Und kam ein Mädel, so rief er: „Lütt Dirn,
kömm man röwer, ick hebb ‘ne Birn.“
[…]

o. A., Silke Thal [Illustrationen] (2014): Herr von Ribbeck, Karwe/Neuruppin: Edition Rieger.

Autor: _____ ____________ (Abb. 4) (1819, Neuruppin – 1898, Berlin)