Die Osterferien bieten Zeit, neue Buchkäufe ausführlicher zu studieren. Dazu gehört Tom Hollands deutsche Paperbackausgabe von „Dominion. The Making of the Western Mind“ bei Klett-Cotta (2023, auf englisch zuerst 2019 bei Little, Brown erschienen).
Holland, Tom (2023), Herrschaft. Die Entstehung des Westens, Stuttgart: Klett-Cotta, 620 Seiten, 20 Euro.
Der britische Autor Tom Holland bietet dem Leser in 21 Kapiteln eine anspruchsvolle, aber kurzweillige Reise in die Entstehung jener Weltbilder, die das ausmachen, was wir heute als den „Westen“ bezeichnen. Die rund 600 Seiten starten in der Antike und gehen über das Mittelalter („Christentum“) bis in die Neuzeit („Modernitas“). Als Einführungsbuch für Schüler der gymnasialen Oberstufe ist der Band jedoch nicht geeignet.
Ich habe zwei Kapitel herausgepickt, um den Charakter des Buches zu illustrieren: Kapitel VI Himmel und XIII Reformation. Die römisch-griechische Antike ist leider nicht (mehr) Gegenstand des Rahmenlehrplans in Brandenburg, die Reformation als Brücke in die frühe Neuzeit aber umso mehr. Kapitel VI umreist sprachlich sicher eloquent die Weltbilder und Konzepte, die das Denken eines (christlichen) Menschen im ausgehenden 5. Jahrhundert u. Z. prägen. In jener Zeit hatte „sogar das Wort religio seine Bedeutung verändert: Jetzt bezeichnete es das Leben eines Mönches oder einer Nonne“ (Holland, 2023, S. 178). So weit, so verständlich. Die weiteren Ausführungen darüber, welche Vorstellung, Glaubenssätze und Ängste die Menschen im lateinischen Europa bewegte, bleiben mir zu abstrakt und metaphysisch. Für die Unterrichtsvorbereitung lassen sich aus diesem Kapitel Erkentnisse nur sehr schwer didaktisch reduzieren.
Deutlich besser gefällt mir das Kapitel XIII über Reformation in Europa. Auch hier setzt Holland implizit Grundlagenwissen über historische Fakten und Prozesse voraus. Was Luther auch über den deutschen Tellerrand und die Konfessionen hinaus bewirkte, wird kognitiv anregend beschrieben – wer der Augustinermönch und Professor für Bibelauslegung in Wittenberg war, sollte man vorher schon mal gehört haben. Das gleiche gilt für Thomas Müntzer, dem Holland – und das ist positiv hervorzuheben – ebenso Raum gibt, wie den Gedankengängen von Heinrich VIII in England und Johannes Calvin in Genf.
Äußerst positiv fällt die professionelle Arbeit des Verlags bzw. der Übersetzer auf. Für die englischsprachigen Quellen hat der Verlag jeweils deutschsprachige Veröffentlichungen herausgesucht und im Fussßnotenapparat ergänzt. So viel Mühe macht sich heute kaum noch jemand.
Hollands Buch liefert neue Einsichten und baut gedankliche Brücken zwischen Dingen, die man wusste, aber eben noch nicht in einen Zusammenhang gestellt hat. Aber es erfordert, wie gesagt, einiges Vorwissen. Insgesamt ein Nice-to-Have, aber keine Pflichtlektüre.