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Die Politische Ökonomie des Schwimmens

Zurzeit laufen im Fernsehen oder (je nach Land) im Internet die ISL Wettkampfschwimmen. Schwimmen kenne ich, aber ISL – ??? ISL steht für International Swimming League, eine neue internationale Liga fürs Profischwimmen.

Das ist deswegen erwähnenswert bzw. einen Blogpost wert, weil es bisher einen Monopolisten gab, die FINA, den Weltschwimmverband, der alle Wettbewerber erfolgreich unterdrückte. So ähnlich wie im Profifußball, da gibt es denn DFB und seine Bundesliga, und sonst nix. Seit 2019 gibt es nun die ISL und die organisiert auch Schwimmwettkämpfe. Und die sehen doch ziemlich anders aus, als das, was Sie von Olympia oder vom lokalen Schwimmtreffen kennen.

Klar, es schwimmen weiterhin Menschen auf vier verschiedene Arten (in vier unterschiedlichen Lagen) unterschiedlich lange Strecken (zwischen 50m und 200m). Hier ist allerdings schon der erste Unterschied, es werden also nur Kurzstrecken (Sprint) und kurze Mittelstrecken (200m) geschwommen, aber nicht die 400, 800m und 1.500m Kraul. Obwohl die erst richtig spannend sind, aber das dauert zu lange.

Die Grundlogik kennen Sie vom Schulschwimmen und den Stadtschulmeisterschaften: alle springen gleichzeitig rein und es gewinnt die oder der Schwimmer, der als erster anschlägt. Und das war es dann im Prinzip auch. Erster, zweiter und dritter bekommen eine Medaille und gehen zum Ausschwimmen (eigentlich andersherum) oder nach Hause. Es kann also sein, dass ein Schwimmer sich nur auf eine einzige Distanz, sagen wir 100 Freistil, konzentriert. Er wird nur diese eine Distanz schwimmen und versuchen zu gewinnen. Zeit spielt auch eine Rolle, aber man muss keinen neuen Weltrekord aufstellen, um Erster zu werden.

Und so werden dann alle Kombinationen durchgearbeitet, jede Lage auf einer bestimmten Distanz, erst die Frauen, dann die Männer. Also z. B.

50m Freistil Frauen

50m Freistil Männer

100 Rücken Frauen

100m Rücken Männer

200m Brust Frauen

200m Brust Frauen. usw.

Für jedes einzelne der zahlreichen Rennen gibt es einen Sieger. Das ist das FINA Prinzip. Wenn Du Deine Familie mit einer Goldmedaille beindrucken willst, musst Du einfach schneller sein, als die sieben Anderen Typen im Becken. Ob die anderen in Deinem Schwimmverein, mit denen Du im Bus zurück fährst, das auch schaffen, ist ihr Problem.

Hier ist das ISL-Prinzip: Es gibt nicht X Sieger, sondern nur Einen. Genauer gesagt, nur ein Team kann gewinnen. Die Schwimmer bilden Teams und es konkurrieren Teams. Es gewinnt das Team, mit den meisten Punkten Punkte bekommt Frau oder Mann, wenn man gegeneinander schwimmt. Auch bei der ISL springen acht Menschen ins Wasser und schwimmen alle in derselben Lage dieselbe Strecke, also z. b. die 100m Freistil, die „Königsstrecke“ (m/w/d). Wer zuerst anschlägt bekommt 9 Punkte, der zweite 7 Punkte, der letzte (achte bekommt) noch einen Punkt. Bei einem ISL werden also genauso zahlreiche Strecken in allen Lagen geschwommen – und die Punkte, die jedes Team dabei gewinnt, werden zusammengezählt. Wer am Schluss die meisten Punkte hat, bekommt den Pott – und die meiste Kohle.

Das ist das Grundprinzip:

  • Teambasiert
  • Teams sammeln Punkte
  • wer in einem Rennen zuerst anschlägt, bekommt die meisten Punkte.

Es gibt noch diverse Bonuspunkte und Extrawertungen. Aber die Zeiten der Gewinner spielen im Vergleich zu FINA Events eine untergeordnete Rolle. Die Siegezeit wird gar nicht angezeigt, sondern nur wer Erster ist und wer wie viele Punkte bekommt. Sieht aus wie bei einem Videospiel.

ISL Events sind bunt, hipp oder cool. Du fühlst Dich auf jeden Fall nicht lost, wenn Du das schaust. Wenn die FINA Events die Lego Classic Box sind, dann sind die ISL Wettkampfschwimmen der Hidden Side Doppeldecker.

In einem Team sind bis zu 30 Schwimmerinnen und Schwimmer aus verschiedenen Ländern. Wie bei Bundesligavereinen – bei der ISL schwimmen Teams gegeneinander und nicht Nationalmannschaften. Die Teams haben lustige Namen, zum Beispiel „die Froschkönige aus Tokyo“ (Tokyo Frog Kings, mit Vladimir Morozov). Deutsche Schwimmstars schwimmen auch mit, Philip Heintz gehört zu den Aqua Centurions, Marius Kusch (Europameister über die 100m Schmetterling auf der Kurzbahn) schwimmt für London Roar.

Was bedeutet das alles für Nicht-Schwimmfanatiker? Erstens, Konkurrenz belebt das Geschäft. Die ISL hat es fertig gebracht, das FINA-Monopol auf Schwimmevents zu brechen. Die FINA hat darauf reagiert und selbst ein neues Wettkampformat eingeführt. Das ist also wie bei der Deregulierung der der Fernbusse in Deutschland, die der Deutschen Bahn zahlreiche Wettbewerber und dem Kunden sinkende Preise beschert hat. Ob das nachhaltig und umweltfreundlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Zweitens: Sportevents sehen im Fernsehen auch ohne Zuschauer ziemlich gut aus. Es ist also realistisch, dass Olympia 2021 ohne Zuschauer stattfinden wird.

Drittens: Die ISL macht mit dem Event Druck aufs Öffentlich-rechtliche Fernsehen. ARD und ZDF haben sich als unfähig oder unwillig erwiesen, Schwimmen prominent im Fernsehen zu zeigen. In anderen Ländern, z. B. in Russland laufen die ISL Events dagegen im regulären Kabelfernsehen. In Deutschland posten nur www.swim.de und www.swimswam.com Zusammenfassungen. Es bleibt also zu hoffen, dass das neue Format auch in Deutschland in 2021 zu mehr Vielfalt bei den Öffentlichen Rechtlichen führt.

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CO2-Bepreisung gewinnt Deutschen Umweltpreis 2020

Ottmar Edenhoffer erhält den Deutschen Umweltpreis 2020 für seinen „wissenschaftlichen Lösungsansatz, einen Preis für den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2) zu verlangen“.

Ottmar Edenhoffer ist Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin und Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die den Umweltpreis vergibt, belobigt damit finanzielle Anreize als Instrument für Klima- und Naturschutz.

3Sat präsentiert den Preisträger in einem 3minütigen Clip, den man hier anschauen kann: https://youtu.be/tymTIU8_Jg0

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Mehr Steuergeld für weniger Lärm: Stand und Perspektiven grüner öffentlicher Beschaffung

Kehrmaschinen beseitigen Schmutz und Laub von Straßen und Gehwegen. Das verhindert Unfälle im Straßenverkehr und von Fußgängern, außerdem entspricht es dem menschlichen Bedürfnis nach Sauberkeit und einer gewissen Ordnung. Kehrmaschinen machen bei ihrer Arbeit allerdings extremen Krach. Außerdem stoßen sie, wie alle Verbrennungsmotoren, in großem Umfang Schadstoffe aus. Kommunale Nutzfahrzeuge, dazu gehören auch noch Müllfahrzeuge, Kehrmaschinen, Busse, aber auch Laubbläser, sind eine Quelle von Lärm- und Luftverschmutzung. Und viel Lärm und Dreck macht auf die Dauer krank.

Wenn spätabends oder sogar nachts Kehrmaschinen durch ein Wohngebiet rollen, ist das extrem ärgerlich und rücksichtlos von der zuständigen Verwaltung. Wer tagsüber arbeitet oder lernt, hat abends und nachts ein Recht auf Erholung und gesunden und ruhigen Schlaf.

Der Zeitpunkt der Lärmverschmutzung lässt sich relativ leicht ändern, wenn die Verwaltung die Maschinen tagsüber nur zu bestimmten Uhrzeiten losschickt. Die Intensität der Lärmverschmutzung lässt sich nicht so leicht beeinflussen. Eine Möglichkeit besteht darin, beim nächsten Mal ein geräuschärmeres Müll oder Kehrfahrzeug anzuschaffen. Und an dieser Stelle kommt die öffentliche Beschaffung ins Spiel. Denn, wo Nachfrage ist, ist auch Angebot.

Das Bundesumweltamt hat dazu heute eine interessante Studie sowie einen praktischen Leitfaden für umweltfreundliche öffentliche Beschaffung veröffentlicht. Beides fügt sich sehr gut zusammen.

Umweltfreundliche Beschaffung in den deutschen Bundesländern im Jahr 2020

Die Studie von Thomas Schneider und Vanessa Schmidt (Schneider and Schmidt, 2020) gibt eine aktuelle Auskunft über den Stand der umweltfreundlichen Beschaffung in den deutschen Bundesländern im Jahr 2020. Fast alle Bundesländer haben mittlerweile Soll-Vorschriften zu ökologischen Vergabekriterien in ihren Landesabfallgesetzen und Vergabegesetzen eingetragen. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind allerdings die klaren Vorreiter, wenn es darum geht, diese hehre Grundsätze und Ziele in konkrete Verwaltungsvorschriften, Leitfäden oder Vergabehandbücher umzusetzen.

Hindernisse für umweltfreundliche Beschaffung

Frühere Studien haben drei Hindernisse für nachhaltigere öffentliche Beschaffung herausgearbeitet: Ein vermeintlich hoher Anschaffungspreis von nachhaltigen Produkten gegenüber konventionellen Produkten, mangelnde Unterstützung der Entscheidungsträger gepaart mit der Angst der Beschaffer, Fehler in der Ausschreibung zu machen, behindern die Aufnahme ökologischer und sozialer Kriterien in den kommunalen Vergabeprozess (Hepperle, 2016; Sandberg, 2013; Broens et al., 2018). Städte und Landkreise in Deutschland stehen mit diesen Problemen nicht allein da. Eine frühere, nicht-repräsentative Umfrage unter Kommunen in europäischen Ländern aus dem Jahr 2005 hat ergeben, dass die „beiden Haupthindernisse für eine Ausweitung [umweltfreundlicher Beschaffung] ein Mangel an Informationen zu Kriterien und Möglichkeiten der umweltfreundlichen Beschaffung und ein Mangel an (finanziellen) Ressourcen [sind].“ (Ochoa and Günther, 2005, S. 27-28). Für Kommunen, die bereits Umweltkriterien in Beschaffungsausschreibungen integrieren, ist der Mangel an finanziellen Ressourcen das Haupthindernis. Nachzüglern mangelte es dagegen an praktischen Informationen.

Leitfaden Schadstoff und Geräuschbelästigungen

Bei letzteren leistet der aktuelle Leitfaden des Umweltbundesamtes (Umweltbundesamt, 2020) Abhilfe: er legt konkrete Anforderungen und Prüfwerte für Kommunalfahrzeuge fest und fügt ein Abfrageformular/Anbieterfragebogen bei, mit dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beschaffungsämtern Angebote sinnvoll vergleichen können.

Öffentliche Beschaffungsämter arbeiten mit Leistungsanforderungen. Konkret legt die Beschaffungsstelle Zuschlagskriterien fest. Zuschlagskriterien bewerten die Wirtschaftlichkeit einer Leistung (in diesem Fall eine Kehrmaschine oder ein Müllfahrzeug), die ein Unternehmen anbietet. Das wirtschaftlichste Angebot, d.h., das Angebot, dass den Kriterien und Anforderungen am ehesten entspricht, erhält den Zuschlag und wird gekauft. Der Preis und die Lebenszykluskosten eines Produkts sind sehr wichtige Kriterien. Aber es hat sich mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, dass Umwelteigenschaften ebenso berücksichtigt werden sollten. Bei Müllfahrzeugen sollten konkret Geräuschbelästigungen ein gewisses Maß nicht überschreiten. Die Beschaffungsstelle steht also vor der Herausforderung, die Betriebsgeräusch vergleichend zu bewerten und zu berücksichtigen.

Das Betriebsgeräusch eines Kommunalen Nutzfahrzeugs wird anhand des Schallleistungspegels, gemessen in Dezibel (dB), bewertet. Den Wert, den die Maschine nach Ansicht des Leitfadens nicht überschreiten sollte, hängt von der Leistung des Verbrennungsmotors an (in PS bzw. kW, wie beim Auto). Der Prüfwert liegt zwischen 95 und 104 dB plus Standardabweichung oder Unsicherheitsfaktor. Ein Beispiel: Wendet man diese Umwelteigenschaften als Ausschlusskriterium an, dann dürfte eine Kehrmaschine mit 4,4kW Leistung und 99dB Schallleistungspegel LWA nicht gekauft werden. Denn der Schallleistungspegel liegt selbst bei einem Unsicherheitsfaktor von 3dB über dem zulässigen Prüfwert LWad von 98 dB, den der Leitfaden vorschlägt.

Themen für künftige Forschung

Ungeklärt und ein spannendes Thema für künftige anwendungsorientierte verwaltungswissenschaftliche Forschung ist nun die Frage, wie bekannt diese Handbücher und Leitfäden in den Beschaffungsämtern der großen Städte sind. Wird von ihnen tatsächlich Gebrauch gemacht, wenn es darum geht, beim Zuschlag für ein Angebot nicht nur auf die Lebenszykluskosten, sondern auch auf Umwelteigenschaften zu schauen? Gibt es empirische Evidenz dafür, dass tatsächlich mehr Steuergeld nach Umweltkriterien ausgegeben wird?

Die Studien

Broens, M.; Blank, F.; Fischer, J.; Bogaschewsky, R. (2018): Biobasiert Produkte im öffentlichen Einkauf, Cebra-Magazin, abzurufen unter: https://www.vubn.de/userfiles/memberdocs-6b5b15bcfb0a80b0acc59a1f4367f87d.pdf

Hepperle , Florian (2016). Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung: Eine empirische Studie auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg. Springer Gabler. Dissertation Uni Ulm.

Ochoa, A. and D. Günther (2005). Umweltfreundliche Beschaffung in Europa – Ergebnisse einer Befragung unter öffentlichen Beschaffern. Umweltfreundliche öffentliche Beschaffung: Innovationspotenziale, Hemmnisse, Strategien. R. Barth, C. Erdmenger and E. Günther. Heidelberg, Physica-Verlag: 23-31.

Sandberg, B. (2011). „Vergabefremde Ziele in der öffentlichen Beschaffung.“ VM Verwaltung & Management 17(2): 59-66.

Schneider, T. and V. Schmidt (2020). Regelungen der Bundesländer auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Beschaffung, Umweltbundesamt: Texte 126/2020. URL: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-07-02_texte_126-2020_regelungen-bundeslaender-beschaffung.pdf

Umweltbundesamt (2020). Leitfaden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung: Kommunalfahrzeuge, Umweltbundesamt: Ratgeber 24. URL: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/leitfaden_zur_umweltfreundlichen_oeffentlichen_beschaffung_kommunalfahrzeuge.pdf

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Buchbesprechung: Manow, Philip, Die Politische Ökonomie des Populismus. 2018

Manow, Philip, Die Politische Ökonomie des Populismus. 2018: Suhrkamp Verlag. ISBN: 9783518759943, 160 Seiten.

Zum Autor

Philip Manow ist Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bremen. Er leitet dort die Abteilung Politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaates.

In der Kürze liegt die Würze

Philip Manow ist sehr gut darin, umfangreiche Themen in kurzen Büchern abzuhandeln. Dieses Jahr hat er im Suhrkamp Verlag auf rund 160 Seiten beschrieben, was er unter der (Ent-)Demokratisierung der Demokratie versteht. N. Taleb gönnte sich 2013 zum Vergleich fast 700 Seiten, um seine Theorie der Antifragilität zu entwickeln und zu erläutern. Taleb ist ohne Frage ein sehr unterhaltsamer Autor, aber ich goutiere es, wenn Autoren mit 200 Seiten oder weniger auskommen. Die Chance, dass ich das Buch am Stück durchlese und dann besprechen möchte, ist einfach größer! Deshalb habe ich bereits Manows aktuelles Buch in einem früheren Post besprochen.

Bereits 2018 entwickelt Philip Manow, ebenfalls im Suhrkamp Verlag und ebenfalls auf nur 170 Seiten, eine Politische Ökonomie des Populismus. Beide Bücher stehen somit in einem engen thematischen Zusammenhang. Und deshalb bespreche ich hier nun auch dieses Buch:

Was ist Populismus?

Manow gibt im ganzen Text leider keine explizite Definition für den Begriff Populismus. Aber seine implizite Definition lässt sich m. E. wie folgt beschreiben: Populismus ist Protest gegen Migration, oder verschärfte Weltmarktkonkurrenz.

Eine Politische Geografie des Populismus

Manow entwirft eine Politische Geografie des Populismus. Seine zentrale Beobachtung und zugleich Annahme ist, dass Populismus keine einheitliche Form hat. Populismus ist für Manow also keine Herrschaftsform oder Art, Politik zu machen, die überall mehr oder weniger gleich praktiziert wird. Die Art und Weise von Populismus unterscheidet sich, und zwar im Wesentlichen zwischen Nord- und Südeuropa. Er unterscheidet in seiner „Politischen Geografie des Populismus“ grob zwischen zwei Spielarten des Populismus: Rechtspopulismus im Norden und Linkspopulismus im Süden Europas.

„Im Süden ist der Populismus tendenziell links, im Norden tendenziell rechts“ (S. 34)

Das erste Kernargument des Buches lautet also: Populismus ist nicht gleich Populismus. Das zweite Kernargument besagt, dass jedes Land in Europa den Populismus hat, den sein Arbeitsmarkt- und Wohlfahrtsstaatmodell „verdient“.

„Es gilt das Anna-Karenina-Prinzip: Jede Politische Ökonomie ist auf ihre ganz eigene Art unglücklich.“ (S. 21)

Denn „Migration wird dort politisch zum Problem, wo der Wohlfahrtsstaat großzügig und zugänglich ist (Kontinental- und Nordeuropa)“ (S. 18)

„[D]ie Effekte der Migration [sind] wesentlicher Teil der Erklärung [von Populismus]. (S. 22)

Philip Manows Vorschlag lautet, „sich auf eine Betrachtung der verschiedenen Kapitalismen einzulassen, um die unterschiedlichen Populismen zu erklären“ (S. 33).

Rechtspopulismus im Norden

Im „Norden“ (dazu zählt Manow Deutschland, Dänemark und Skandinavien) gibt es hohe Produktivität, Weltmarktorientierung und das sozialpolitische Leitbild der Statussicherung (in Deutschland zumindest bis zur Agenda 2010). Der universalistische Wohlfahrtsstaat kompensiert die Risiken einer starken Weltmarktoffenheit.

Im Norden Europas protestieren Arbeitsmarkt-Insider dagegen, dass Sozialflüchtlinge von einem ausgebauten universalistischen Wohlfahrtstaat profitieren, zu deren Aufbau sie nicht beigetragen haben. Das fällt bei Manow unter den Begriff Rechtspopulismus. Insider sind Beschäftigte, die durch starke Gewerkschaften und starken gesetzlichen Kündigungsschutz praktisch unkündbar sind, also Facharbeiter bei Mercedes oder Porsche z. B. Das Gegenteil sind die sog. Outsider, sie kommen über befristete Jobs meist nicht hinaus bzw. nicht in dauerhafte, gut entlohnte Arbeitsverhältnisse hinein. Jugendliche unter 25 Jahre in Italien sind ein klassisches Beispiel für Outsider am Arbeitsmarkt.

Linkspopulismus im Süden

Im Süden ist der Sozialstaat schlecht ausgebaut, zersplittert und bedient die eigene (politische) Gefolgschaft (Klientel, daher klientelistischer Sozialstaat). Das Wachstumsmodell basiert auf Binnennachfrage und Staatsverschuldung. Hier protestieren die Menschen eher gegen die Austeritätspolitik und Reformvorstellungen der Europäischen Union und den ungehinderten Güter- und Warenverkehr innerhalb der EU. Das fällt bei Manow unter den Begriff Linkspopulismus.

Und Deutschland?

Für Deutschland ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Der Text reduziert sich hier im Wesentlichen auf die Frage, „Wer wählt die AfD?“. Viele potentielle Erklärungsfaktoren für den Wahlerfolg der AfD erweisen sich nicht als erklärungskräftig. Einer der empirischen Befunde lautet aber: In Gegenden, in den vor 20 Jahren viele Leute keine Arbeit hatten, erhielt die AfD 2017 viele Zweitstimmen bei der Bundestagswahl.

Plus und Minus

Neben seiner Kürze, hat das Buch zwei konzeptionelle Stärken: es ist erstens theoriebasiert und zweitens datengetrieben. So illustriert Manow mit einer einzigen Abbildung (Schaubild 5.1), dass die nach Europa Geflüchteten ganz ohne Studium der verschiedenen europäischen Wohlfahrtsstaatsmodelle wissen, wo sie hinwollen. Sie gehen ganz einfach dahin, wo der Sozialstaat am großzügigsten ist, d.h. nach Schweden, Norwegen, Deutschland oder Belgien. Diese Länder haben die meisten Flüchtlinge pro 1.000 Einwohner aufgenommen und zugleich die generösesten Wohlfahrtsstaaten (nach den Berechnungen von Lyle Scruggs im Comparative Welfare Entitlements Dataset (CWED)).

Dass es an einer klaren Definition davon fehlt, was Populismus denn genau ist, schwächt das Buch etwas. Manow stellt so sehr auf die Unterschiede der Populismen in Nord und Süd ab, dass er vergisst, darzulegen, ob und welche Gemeinsamkeiten es zwischen beiden Phänomenen gibt. Aber das mindert nicht den sehr positiven Gesamteindruck. Das Buch leistet einen relevanten Beitrag zur Demokratie- und vergleichenden Wohlfahrtsstaatforschung. Das Buch eignet sich daher m. E. sehr gut etwa als Lektüre für Lehrveranstaltungen zum Thema demokratisches Regieren, Politischer Ökonomie oder vergleichender Wohlfahrtsstaatsforschung.

How to cite

Tim Jäkel. 2020. Buchbesprechung: Manow, Philip., Die Politische Ökonomie des Populismus. 2018: Suhrkamp Verlag. ISBN: 9783518759943, 160 Seiten. Abgerufen von https://publicsector-research.net/buchbesprechung-manow-philip-die-politische-okonomie-des-populismus-2018/ am 26. August 2020. [Datum anpassen!]

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Buchbesprechung: P. Manow, (Ent-)Demokratisierung der Demokratie

Manow, P., (Ent-)Demokratisierung der Demokratie: Ein Essay. edition suhrkamp. 2020, Berlin: Suhrkamp. Ebook. 170 Seiten. eISBN 978-3-518-76552-4.

Zum Autor: Philip Manow ist Professor für Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Bremen und leitet das dortige SOCIUM Research Center on Inequality and Social Policy. Vorher hatte er kurzzeitig Professuren in Heidelberg (Politische Theorie) und in Konstanz inne.

Nach seiner „Theorie des Populismus“ (2018, ebenfalls im Suhrkamp Verlag) beschäftigt Manow sich in seinem aktuellen Buch mit etwas Paradoxem, nämlich dass demokratische Gesellschaften einerseits immer demokratischer werden, aber die Demokratie gleichzeitig immer undemokratischer wird. Er nennt sein Buch im Untertitel einen Essay, aber das trifft m. E. nur auf die hintere Hälfte des Buches zu.

Der breitere Kontext des Buches ist die Diskussion über die Krise der Demokratie (so das Buch von Adam Przeworski von 2019), über Populismus, die Klagelieder über die abnehmende Bindewirkung der „etablierten Parteien“ und „Wutbürger“, also Menschen, die am öffentlichen Leben nicht mehr bewusst teilhaben wollen oder können, aber dann manchmal doch auf Demonstrationen auftauchen und auf Telegram Dinge gut finden, die man als politisch inkorrekt bezeichnet.

Die Argumentation und zentralen Befunde des Buches: Im ersten Kapitel führt uns P. Manow knapp 250 Jahre in der Geschichte (der Demokratie) zurück ins 18. Jahrhundert: In eine Zeit, in der der Demokratie zuerst Nichtherrschaft des Volkes bedeutete. „Die Frage der Demokratie lautete […] zunächst, wie das Volk regiert, ohne dass das Volk regiert“ (S. 24) Die Lösung des Problems, wie man das gemeine Volk von der Herrschaft ausschließt, war die Idee der Repräsentation. „Demokratische Repräsentation war also ursprünglich die Lösung eines Problems, das ‚Pöbel‘ oder ‚Menge‘ heisst“ (S. 24). Das hatte zwei Dinge zur Folge: zum einen gibt es in der repräsentativen Demokratie immer eine potentielle Repräsentationslücke, das bedeutet, die Vertreter des Volkes vergessen ihre Wähler. Zum anderen stellen sich die politischen Entscheider die Frage: Wer ist eigentlich repräsentierbar, und wer nicht? Volk ist aber nicht gleich Pöbel; Pöbel ist im zeitgenössischen Diskurs, wer außerhalb der Ehre der Arbeit steht. „Für Kant rechtfertigte das unbürgerliche Verhalten den Ausschluss von der politischen Teilhabe“ (S. 26). Bei Marx und Engels läuft das unter dem Begriff Lumpenproletariat. Die Idee der Volksrepräsentation verstanden als Exklusion des Pöbels – das war im 18. Jahrhundert transatlantischer (intellektueller) Konsens (E. Burke, Ch. Madison, u.a.).

Aus dem 18. Jahrhundert geht es dann zurück ins 21. Jahrhundert. Heute wählen viele Menschen D. Trump. Das gefällt nicht allen. P. Manow weist aber darauf hin, dass man nicht „eine ganze Wählerschaft für getäuscht, unzurechnungsfähig oder moralisch verkommen“ erklären kann, methodisch nicht und demokratietheoretisch nicht (S. 12).

P. Manow diagnostiziert, wie viele andere, die er ausgiebig zitiert und belegt, eine „Krise der Repräsentation, der Funktions- und Legitimationsverlust bewährter Artikulations- und Repräsentationsinstanzen (der politischen Parteien, der Parlamente, der Presse)“ (S. 15). Dabei macht P. Manow deutlich: „Die Populisten sind nicht das Problem der repräsentativen Demokratie […] Sie zeigen nur, dass sie eins hat“ (S: 16). „Die Demokratie, wie wir sie bislang kannten, funktioniert nicht mehr richtig.“ Funktionskrise bedeutet, das Prinzip „repression by government funktioniert nicht mehr wie gewohnt“ (S. 34). Es gibt zwei gleichzeitige, je nach Geschmack paradoxe oder dialektische, Entwicklungen: einerseits Demokratisierung, andererseits Entdemokratisierung. Diese Gleichzeitigkeit ist die „paradoxe Folge des Sieges der Demokratie über aller alternative Formen der Herrschaftslegitimation“ (S: 17). „Demokratisierung bezeichnet schlicht die Ausweitung von Partizipationschancen bzw. den Kollaps tradierter Exklusionsmechanismen.“ (S. 17) In der „demokratischen Demokratie“ gibt es also eine „massive Ausweitung von Chancen zur politischen Partizipation und Kommunikation“ (S. 39). Das Problem der Demokratisierung der Demokratie ist dabei das Problem der Partizipation ohne Repräsentation und der beständigen Ausweitung dieser Partizipation, so P. Manow (S. 35). „[D]ie Primärfunktion der Repräsentation [war] zunächst [die] Exklusion [des sog. Pöbels] (S. 40); und der meldet sich jetzt immer mehr zu Wort, weil es immer mehr Partizipationsmöglichkeiten gibt. „Die Zugangshürden für die Teilnahme am öffentlichen Diskurs sind drastisch gesunken.“

Die These von P. Manow lautet, dass diese Ausweitung der Partizipationschancen die Demokratie „zu bedrohen scheint“. Das ist aber das Paradoxe, es gibt Demokratisierung und Entdemokratisierung gleichzeitig. Das erste geht mit dem zweiten einher, u.a. deshalb, weil der Staat an Bedeutung verliert, er hegt Interessenkonflikte und öffentlichen Diskurs nicht mehr so ein wie früher (S. 116). „Der Pöbel kehrt lautstark wieder, weil die Macht keine Integrationsangebote mehr unterbreiten will oder kann“ (S. 116). Wenn man heute nicht mehr beschränken kann, wer mitentscheidet, dann kann man aber immer noch beschränken, über was entschieden wird“ (S. 37). Damit ist sozusagen die technokratische Lösung gestiegener partizipatorischer Erfordernisse demokratische verfasster Gesellschaften umschrieben.

Kommentare und Anmerkungen zum Buch: Bis 1989 bzw. 1991 konnte sich „die Demokratie“ als bessere Alternative zu anderen Herrschaftsformen z. B. in der DDR, der Sowjetunion, in China, Jugoslawien oder Südafrika präsentieren. Heutzutage, so P. Manow, „droht der Demokratie Gefahr nur noch von der Demokratie selber“ (S. 93) P. Manows Buch zielt also auf das „Binnenverhältnis“ der Demokratie ab, und ist insgesamt auch überzeugend. Allerdings kontrastiert es auch mit einem anderen Trend in der vergleichenden Forschung zu politischen Systemen. Denn was ist mit den sog. neuen Willkürherrschaften (new despotism), wie sie John Keane in seinem Buch von 2019 bezeichnet hat? Laut Keane sind diese scheinbar attraktiven alternativen Formen von Herrschaftslegitimität ja so gefährlich, wie sie demokratische Praktiken erfolgreich imitieren und gleichzeitig scheinbar besser „liefern“. Also, gibt es doch wieder scheinbar verlockende alternative Herrschaftsformen, mit denen sich die liberalen Demokratien herrlich in ihrem Außenverhältnis beschäftigen können? Denn genau das tun sie mit größter Inbrunst und Wonne, siehe Hongkong und Belarus.

Der Gewinn an P. Manows Buch ist, dass sich genau auf das Binnenverhältnis der Demokratie konzentriert. Der erste Teil des Buches argumentiert klar und überzeugend. Und P. Manow belegt seine Aussagen kurzweilig und detailliert an den Beispielen Corbyn, Trump und Macron, also an empirischer Evidenz aus Kerndemokratien. Der zweite Teil des Buches ist dann tatsächlich ein Essay, ohne eindeutige Fragestellung und mit zu vielen losen Enden.

Insgesamt aber ein lesenswerter und interessanter Beitrag zur politischen Theorie demokratischer Gesellschaften in der westlichen OECD-Welt.

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Nachhaltige Verkehrspolitik – gibt’s das in Moskau?

Weniger CO2, das bedeutet weniger Autos in der Stadt. Das ist aber leichter gesagt, als getan. Wenn es keinen ausgebauten ÖPNV gibt, können und werden die Menschen selbst beim besten Willen auch nicht vom eigenen Verbrenner auf Bus und Bahn umsteigen. Elektromobilität sind auch keine echte Alternative, denn Elektroautos lösen zwei anderen Hauptprobleme individueller Mobilität nicht: auch Elektroautos verstopfen erstens die Straßen und stehlen zweitens allen anderen Menschen knappen öffentlichen Raum. Und drittens sind Elektroautos teuer(er) und kaum was für Geringverdiener. Die vielzitierte alleinerziehende Krankenschwester braucht also eine andere Alternative.

Nur ÖPNV ist wirklich nachhaltig und sozial. Eine nachhaltige und soziale Stadt ist also eine Stadt, die den öffentlichen Nahverkehr nicht nur erhält, sondern systematisch und mit einer klaren Vision ausbaut und beständig verbessert. Das sind ganz vielfältige Maßnahmen: Dieselbusse ersetzt man durch Elektrobusse, eine Buslinie fährt alle 20 Minuten statt alle 30 Minuten, die alte Straßenbahn wird durch eine moderne und bequeme Niederflurbahn ersetzt. Oder man baut neue Metrolinien dahin, wo es bisher noch keine Metrolinie gab.

Und genau macht Moskau. Seit 2018 wird noch mehr gebuddelt und gebohrt. Es entsteht die 14. (sic!) Metrolinie in Moskau. Sieht führt von der ebenfalls neuen, 2016 eröffneten Moskauer S-Bahn Ringlinie MZK, nach Südwesten bis hinaus ins Moskauer Umland. Moskaus Prestigeboulevard Leninskij Prospekt fehlte schon immer eine Linie, jetzt bekommt er also zumindest teilweise eine.

Im Einsatz sind vier Tunnelbohrmaschinen, bis Ende 2021 sollen große Teile fertig sein. Dass das erst gemeint ist, unterschreibt wahrscheinlich jeder, der an einer der zahllosen Metro-Baustellen wohnt, die Moskau bevölkern. Denn zeitgleich wird auch an der zweiten, der äußeren Metro-Ringlinie gebaut, die in Teilen schon in Betrieb ist.

Das ist also zumindest langfristig alles sehr gut für Pendler und alle Menschen in Moskau.

Aber was bedeutet das alles aus einer politikwissenschaftlichen Governance Perspektive? Erstens, zeigt sich exemplarisch Russlands Managementstyle: Dieser besteht im Wesentlichen darin, aller verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren, um ein Ziel zu erreichen. „Wir gewinnen einen ausweglosen Krieg, wir fliegen als erste ins All, wir bauen eine neue Metro“ – Wenn Russen von etwas überzeugt sind, dann tun sie es auch. Es ist nicht unbedingt effizient, wie alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert werden, aber es ist ziemlich effektiv.

Zweitens, partizipative Verfahren spielen bisher keine große Rolle. Logik: „Du willst nicht ständig im Stau stehen und schneller zu Arbeit? Dann beschwer dich nicht über eine Baustelle.“ Drittens, und in diesem Sinne, gibt man nicht viel auf die kurz- und mittelfristigen Kosten, die Anwohnern durch die Baustellen entstehen: Fußgängerweg zu, Baulärm rund um die Uhr.

Aus einer vergleichenden Perspektive stellt sich abschließen folgende Frage: Sind demokratische politische Systeme wie Deutschland in der Lage, Nachhaltigkeitsstrategien effektiv, aber auf Grundlage partizipatorischer Prozesse und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit Sozialpolitik umzusetzen? Oder haben hybride Regime oder die sogenannten neuen Willkürherrschaften (John Keane) hier einen scheinbaren Performanz-vorsprung? Aber vielleicht ist das alles auch gar nicht wirklich nachhaltig? Fotos und Details (auf Russisch) zur neuen Metrolinie gibt jedenfalls unter https://www.mos.ru/mayor/themes/231299/6687050/ (abgerufen 04.08.20).

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Umweltdaten und Luftqualität

Russland will ein Gesetz zur Veröffentlichung von Umweltdaten auf den Weg bringen. Der Entwurf befindet sich gegenwärtig im Gesetzgebungsprozess und schließt auch das Monitoring der Luftqualität mit ein (https://www.hse.ru/en/news/research/310656474.html; Date of Access: 2020-03-02).

Sehr gut – das ist die erste Reaktion bei allen normalen Menschen, die dreckige und giftige Luft hassen. Dreckige Luft ist der Killer Nummer Eins, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit Jahren, und zwar nicht nur in Asien, dem üblichen Verdächtigen, sondern genauso in Europa und der restlichen OECD-Welt. Die zweite Reaktion bei denen, die sowohl die Luft als auch das politische System in Russland kennen, ist: ausgerechnet noch ein Gesetz! Das Problem in Russland ist nicht der Mangel an (gutgemeinten) Gesetzen. Das Problem ist üblicherweise deren (mangelhafte) Umsetzung. Wenn es an etwas mangelt, dann an Gesetzesfolgenabschätzung.

Welche Erfahrungen gibt es zum Thema Monitoring der Luftqualität aus Deutschland? Lässt man die die politischen Diskussion um Feinstaubbelastung, Stickstoffdioxid und Dieselautos in Deutschland Revue passieren, dass sollte sich der Gesetzgeber in Russland im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses mit drei weitergehenden Fragenkomplexen beschäftigen: Messung, Grenzwerte und der Durchsetzung von Fahrverboten. Die entscheidenden Fragen lauten:

Was messen wir, wo und wie oft? In Deutschland messen 352 Messstationen einmal in der Stunde die Konzentration von fünf Schadstoffen, Feinstaub (PM10), Kohlenmonoxid (CO), Ozon, Schwefeldioxid (SO2) und Stickstoffdioxid (NO2). Daraus werden Tagesmittel-, Acht-Stundenmittel-, bzw. Ein-Stundenmittel-Werte berechnet. Diese Luftdaten sind tagesaktuell für alle 352 Messstationen frei zugänglich online z. B. über die Seite des Umweltbundesamtes verfügbar. Die 16 Bundesländer verantworten die Messung, sie werden dann in Zusammenarbeit mit dem UBA ausgewertet.

Der russische Gesetzgeber muss also entscheiden, wie viele solcher Messstationen er wo aufstellt, um ein realistisches Bild von der Luftqualität in Russland zu erhalten. Messstationen stehen bereits an zahlreichen Punkten, zum Beispiel auf dem Gartenring in Moskau nähe Kreuzung Prospekt Mira. Er muss zweiten die Regionen und die russische Umweltbehörde befähigen, die Daten zusammenzuführen, auszuwerten und schließlich zu veröffentlichen.

Ist das jetzt schon schlechte Luft? Was schlechte Luft ist, das hat für Deutschland die EU festgelegt (EU Richtlinie 2008/50/EG). Die Luft hat demnach eine schlechte Qualität, wenn die Luft mehr Schadstoffe enthält, als vorgeschrieben. Die Grenz- und Zielwerte für die einzelnen Schadstoffe hat der deutsche Gesetzgeber von der EU übernommen (39. Verordnung zur Emissionsschutzverordnung). Jede Station misst also z. B. jede Stunde, wieviel Mikrogramm, das ist ein Millionstel Gramm, Feinstaub, das sind klitzekleine Teilchen, die aus Schornsteinen, Auspuffen und bremsenden Reifen kommen, in einem Kubikmeter Luft, das ist ein Paket, dass 1m hoch, 1m breit und 1m lang ist, enthalten sind. Aus allen Werten eines Tages berechnet ein Computer den Mittelwert. Die kritische Grenze für den von grobkörnigem Feinstaub PM10, es gibt auch Feinkörnigen Feinstaub PM2,5, der sog. Tagesmittelwert ist 50 μg/m³. 35-mal im Jahr darf die Luft an der Messstation dreckiger sein als 50 μg/m³, aber nicht öfters.

Die Station misst die Feinstaubbelastung jede Stunde und das ein ganzes Jahr lang. Tagsüber gibt es mehr rauchende Schornsteine und fahrende Autos als Nachts. Im Winter wird mehr geheizt als im Sommer. Deshalb nimmt man alle Messwerte eines Jahres und berechnet daraus ebenfalls einen Jahresmittelwert. Im Jahresmittel darf die grobkörnige Feinstaubbelastung (PM10) nicht höher sein als 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (40 μg/m³).

Genauso wird der Gehalt von Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft gemessen. Auch dort darf die gemessene Belastung übers ganze Jahr hinweg (Jahresmittelwert) nicht höher sein als 40 μg/m³.

Übernimmt Russland diese EU-weiten Grenzwerte? Oder geht man darüber hinaus? Die WHO legt deutlich schärfere Maßstäbe an. Laut WHO sollte der Tagesmittelwert an Feinstaub die Konzentration von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter idealerweise höchstens drei Mal im Jahr überschreiten, und nicht 35 Mal, wie es die EU erlaubt. Es ist gut, dass die deutschen Grenzwerte von der EU kommen, in anderen Worten, dass die deutschen Regelungen im europäischen Rahmen eingehegt sind. 2018 versuchten sich der Bundesverkehrsminister und mit ihm das gesamte Kabinett der EU-Grenzwerte zu entledigen und sie einfach aufzuweichen, um Fahrverbote zu umgehen. Frei nach dem Motto: Der Grenzwert nervt – dann weg damit! Eine Möglichkeit wäre, dass Russland sich informell an die EU-Standards bindet. Jede nachträgliche Aufweichung hätte dann hohe Reputationskosten, das würde möglichweise abschrecken.

Wer setzt Fahrverbote und Fabrikschließungen durch? Schmutzige Luft hatte viele Ursachen, Fabrikschlote, Autos und Heizungen verursachen relevante Anteile. Noch komplexer als die Ursachenanalyse sind die administrativen Gegenmaßnahmen. Die schönsten Messungen nützen nichts, wenn Luftverschmutzung folgenlos bleibt. Diese Situation gab es in Deutschland jahrelang, wo die Grenzwertüberschreitungen in Dutzenden deutschen Städten Achselzuckend hingenommen wurden. Die Luftreinhaltepläne der Länder haben zwar zahlreiche Einzelmaßnahmen erarbeitet, eine effektive Verbesserung der Luftqualität ist dadurch z. B. aber im Verkehrssektor nicht eingetreten. Hier ist zum Beispiel Moskau im Vorteil gegenüber Berlin. Während in Deutschland über kostenlosen Nahverkehr diskutiert wird (eine Maßnahme, die ohne Taktverdichtung weitgehend Sinn frei ist), setzt Moskau unter seinem Bürgermeister Sobjanin ein integriertes Verkehrskonzept um. Es gibt seit 2015 eine neue innerstädtische S-Bahn, Dutzende neue Metrostationen auf bereits bestehenden Linien und seit Ende 2019 ein neues Regionalzugsystem. Das wird ergänzt durch Elektrobusse im Zentrum, Fahrrad und Rollerleihstationen eines einzigen (!) Anbieters und ein Car-Sharing System. Es können konkret mehr Menschen schneller, komfortabel, sicher, zuverlässig, sauber und kostengünstig als vor fünf Jahren von A nach B kommen – damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch tatsächlich vom Auto auf den ÖPNV umsteigen.

Die entscheidende Frage für das russische Gesetz über Umweltinformationen ist, wer welche Maßnahmen verantwortet und umsetzt, wenn die Luftqualität schlecht ist. Ist die Moskauer Stadtregierung bereit, Fahrverbote für Dieselmotoren durchzusetzen, wenn Grenzwerte dauerhaft überschritten werden?

Wenn interessiert es, ob die Luft schlecht ist? Mit anderen Worten, hat das alles systemdestabilisierenden Charakter? Umfragewerte deuten darauf hin, dass Umweltschäden und speziell Luftverschmutzung in Russland zu einem gewissen Grade wahrgenommen werden. Ob die  Wahrnehmung von Umweltverschmutzung Wahlentscheidungen beeinflusst, ist jedoch fraglich und für Russland nicht empirisch belegt.

Es gibt jedoch zwei interessante historische Beispiele mit Bezug zum Thema: Die USA haben in den 1990ern und 200ern die Luftverschmutzung in Beijing in ihrer Botschaft gemessen und die Daten online gestellt. Die Stadtregierung hatte die Umweltdaten bis dato nicht selbst veröffentlicht. Umweltinformationen wurden hier jahrelang erfolgreich als Instrument verwendet, um von ökologischen Defiziten argumentativ auf politische Defizite überzuleiten. Ein solches Szenario ist auch für Russland denkbar.

Die politische Oppositionsbewegung in der DDR gewann Zulauf, indem sie Proteste gegen Umweltverschmutzung durch Industrie- und Chemiebetriebe aufgriff und instrumentalisierte. Dieses Szenario hat Parallelen zu den aktuellen Müllprotesten im Moskauer Umland und in Nordrussland.

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Tatiana V. Zaytseva on training of members of parliament

At yesterday’s (October 10, 2019) Public Administration Discussion Meeting at the Higher School of Economics Tatiana V. Zaytseva presented her latest research on professional capacity of members of parliament. It was the first PA meeting in the newly merged School of Politics and Governance.

Tatiana Zaytseva is a Professor at the School of Public Administration of the Lomonosov Moscow State University, where she coordinates the MPA Program and heads the International Affairs Department. She majored in psychology at Yale and Moscow State University, from where she graduatedwith honors. She holds PhD in Psychology and Economics, and an MBA. Tatiana published a dozen books and more than 50 journal articles on Human Resource Management, Quality Management, Organizational Behavior, and Civil Service Reform.

In her talk Tatiana brought together two fundamental topics in governance, human resources and parliamentary affairs. We know that strong democracy requires a strong legislature. But what makes a good parliament? How do we tell an efficient parliament from an inefficient one? Tatiana’s research suggests that the answer is professional training of members of parliament. (Pictured above: Russian State Duma)

Tatiana argued that the fit between oversight functions of the parliament and the capacities of its members needs to be improved by professional training. It is a paradox of parliamentarian work is that no qualification is required. As highlighted by Max Weber, being a parliamentarian is a profession, and members of parliament receive public money to do their job.

What functions for members of parliament? In the first part of her talk, Tatiana described how the answer to this question varied over time. W. Bagehot in 1867 ranked the legislative function behind the elective, expressive, teaching, and informing function. One and a half century later the legislative function moved up the ranks, e.g. Peter Holland in 2011 put the legislative function second behind representation; scrutiny, redress grievance, office-management, making and breaking governments are additional functions. However, researchers such as Ken Coghill certified members of parliament poor knowledge and understanding on most of those functions. In fact, examples of poorly written laws abound.

This is where professional training comes into play.

Tatiana outlined six perspectives on how to improve the professional training and competencies of members of parliament, including technical, prosocial, political empowerment. Her international comparison reveals four classes of professional development. The United Kingdom and China practice a party school approach, in which prospective politicians are trained by the party before they are actually elected. Some countries feature voluntary programs for members of parliament; this approach suffers from low attendance rates. Turkey and the US have mandatory training programs for members of parliament using a large variety of instruments and evaluation tools. Finally, foreign organizations like the World Bank and NGO’s offer training for legislative members in developing countries.

Tatiana delivered a well-developed empirically-rich and inspiring talk. Tatiana convincingly argued that better training for members of parliament will yield fair and reasonable laws (expected outcome). The discussion focused on two aspects: How to motivate members of parliament to attend (and not to object) trainings? And who might train members of parliament?

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Silber ist das neue Gold

Ein paar kurze Notizen vom heutigen vorletzten Wettkampftag der Beckenschwimmer bei der 18. FINA Weltmeisterschaft in Gwangju.

Diese Silbermedaille ist für Andrei Minakov wie ein hochverdientes Gold: 100m Schmetterling in 50,83s – das ist Platz 2 hinter dem neuen Weltrekordhalter C. Dressel (49,66!!). Eine Klasseleistung an der Weltspitze für den 17-jährigen aus St. Petersburg. C. Dressel absolvierte heute ein hartes Wettkampfprogramm (100m Schmett, 50m Freistil, Startschwimmer in der 4x100m Frei Mixed Staffel), er kann mit dieser Belastung gut umgehen und lieferte konstant Höchstleistung (3 Mal Gold).

Mariia Kameneva schwimmt mit einer 24,33s sicher ins morgige Finale der 50m Freistil.

Mit im Finale über 50m Brust der Damen sehen wir morgen nicht nur Yulia Efimova (30,12s im Halbfinale, noch Luft nach oben im Vergleich mit L. Kings Zeit unter 30s im Halbfinale), sondern auch Anna Elendt! Mit einer 31,10 sicherte sie sich Platz 8 im morgigen Sprint-Finale „USA gegen Russland“.

Russische Doppelbeteiligung morgen auch im Rückensprint: Kliment Kolesnikov (Moskau) schwamm sich mit einer 24,35 auf Bahn 4 im morgigen Finale und wird dort flankiert von Jiayu Xu und Evgeny Rylov (QT 24,56s).

Für Sarah Köhler und V. Morozov und gab es heute leider nur 4. Plätze. Für Morozov besonders bitter: nach den 50m Freistil reicht es auch mit der 4x100m Mixed Staffel ganz knapp nicht für Edelmetall. Sarah Köhler, Vizeweltmeisterin im Freiwasser, musste sich erst auf den letzten 100m geschlagen geben. Bis dahin schwamm sie kontinuierlich auf dritter Position. Auf den letzten anderthalb Bahn fehlte dann ein energisches Finish, um diesen Platz bis zum Anschlag zu verteidigen.

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Goldregen

3 Mal Gold für die russischen Schwimmerinnen und Schwimmer am 6. Tag der FINA WM in Südkorea und eine starke Silbermedaille bei der 4x200m Staffel der Herren.

Yulia Efimova (200m Brust) und Evgeny Rylov (200m Rücken) sorgten für die ersten beiden Goldmedaillen. Das packendste Rennen, das war aber Anton Chupkov neuer Weltrekord über die 200m Brust: 2:06,12! Ein absoluter Hammer, nur einen Tag nach dem bereits M. Wilson die Bestmarke auf 2:06,67 neu festgelegt hatte. Und nun noch mal eine halbe Sekunde darunter. Und in was für einem Rennen. A. Chupkovs Taktik ging perfekt auf; aber solche Nerven muss man erst mal haben. Eine technische, taktische und psychologische Meisterleitung! Technisch seine bekannte lange, lange Gleitphase nach jedem Zug. A. Chupkov macht nur einen Zug, wo andere zwei machen, sehr effizient und kraftsparend. Taktisch exakt umgesetzt: Ab Meter 125m erhöht er punktgenau Tempo und Frequenz, schiebt sich langsam aber sicher von Platz 6 vor. Und die letzten 50m schaltet er auf Sprint um, zieht erst Wilson mit dem Lasso ran, und ab Meter 175 vorbei, immer weiter, immer weiter. Finish mit einer guten Armlänge Vorsprung. Und neuer Weltrekord! Nicht unerwähnt soll natürlich Marco Koch bleiben, der Neu-Frankfurter schwimmt auf der Außenbahn einen soliden fünften Platz heraus (2:07,60s). Glückwunsch, dass er wieder in der Weltspitze mit schwimmt.

Den krönenden Abschluß setzt die russische 4x200m Staffel mit Silber hinter Australien und vor den USA.