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Klimanotstand – wo gibt es denn so was?

So was gibt es zum Beispiel in Konstanz, oder in Potsdam, oder in Speyer. Sind das nur Einzelfälle und Eintagsfliegen oder tut sich da ein ernsthafter Trend auf?

Eine interessante empirische Studie zum Thema Klimanotstand in deutschen Kommunen hat das IÖW Anfang des Jahres veröffentlicht. Neben den drei genannten haben noch 75 weitere Kommunen bisher den sog. Klimanotstand ausgerufen. Wer tut so etwas, wer initiiert solche Beschlüsse und was kommt am Ende dabei rüber? Dazu hat das IÖW 26 der 78 Klimanotstandskommunen in einem Onlinefragebogen befragt. Den Selbstauskünften der Kommunen zu Folge ist der Klimanotstand mehr als reine Symbolik. In der Mehrheit haben die Stadt- und Gemeinderäte unverbindliche Verpflichtungserklärungen verabschiedet, einige Kommunen gehen aber darüber hinaus aus und installieren Monitoringsysteme. Entscheidender Punkt ist der sog. Klimavorbehalt. Klimavorbehalt bedeutet, dass alle Entscheidungen eines Stadt- und Gemeinderates auf ihre Klimafolgen hin überprüft werden müssen. In den meisten Kommunen mit Klimanotstand ist das unverbindlich, in einigen aber auch verbindlich.

Den Klimanotstand rufen aber nicht nur reiche Kommunen aus, die es sich leisten können, Extramaßnahmen für eine grüne, gebildete und einkommensstarke Klientel auf den Weg zu bringen, die das entsprechend goutiert. Bei der Haushaltssituation gibt es kein klares Bild, wer den Klimanotstand ausruft und wer nicht. Deutlich überpräsentiert sind in der Grundgesamtheit und auch im Sample aber Großstädte.

Wer sind die Agenda-setter, wer macht Druck im Stadt- und Gemeinderat und setzt das Thema dort auf die Tagesordnung? Maßgeblicher Treiber ist der Studie zu Folge Druck von außen, vor allem durch die Schülerbewegung Fridays for Future. Diese agieren dann im Zusammenspiel mit grünen Parteien, um das Thema in den Gemeinderat einzubringen. Umwelt- und klimapolitisch engagierte Mitarbeiter aus der Verwaltung sind ebenfalls ein Motor. Beim Abstimmungsverhalten gibt es keine klaren Muster, sowohl linke und grüne Parteien, als auch christlich konservative Parteien stimmen für den Klimanotstand. Nur die AfD verweigerte in den erfassten 26 Kommunen konsequent eine Zustimmung zum Klimanotstand.

Viele der 26 erfassten Klimanotstandskommunen erstellen schon vorher CO2- und Energiebilanzen, oder schrieben Berichte zu den Themen Verkehr, Wohnen und Wärme. Interessant ist, dass 73% bereits vorher die Bürger in irgendeiner Form bei der Erarbeitung von Klimazielen und Maßnahmen beteiligten.

Die Studie schlussfolgert, dass Klimanotstandskommunen ein neuer Akteur auch für die nationale Klimaschutzpolitik sein können und gezielt gefördert werden sollten.

Die Studie:

Bernd Hirschl, Lena Pfeifer (2020): Kommunen im Klimanotstand: Wichtige Akteure für kommunalen KlimaschutzKurzstudie zu Prozessen, Eigenschaften und Schwerpunkten. Diskussionspapier des IÖW 71/20, https://www.ioew.de/fileadmin/user_upload/BILDER_und_Downloaddateien/Publikationen/2020/IOEW_DP71_Klimanotstand_in_Kommunen.pdf

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Umweltdaten und Luftqualität

Russland will ein Gesetz zur Veröffentlichung von Umweltdaten auf den Weg bringen. Der Entwurf befindet sich gegenwärtig im Gesetzgebungsprozess und schließt auch das Monitoring der Luftqualität mit ein (https://www.hse.ru/en/news/research/310656474.html; Date of Access: 2020-03-02).

Sehr gut – das ist die erste Reaktion bei allen normalen Menschen, die dreckige und giftige Luft hassen. Dreckige Luft ist der Killer Nummer Eins, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit Jahren, und zwar nicht nur in Asien, dem üblichen Verdächtigen, sondern genauso in Europa und der restlichen OECD-Welt. Die zweite Reaktion bei denen, die sowohl die Luft als auch das politische System in Russland kennen, ist: ausgerechnet noch ein Gesetz! Das Problem in Russland ist nicht der Mangel an (gutgemeinten) Gesetzen. Das Problem ist üblicherweise deren (mangelhafte) Umsetzung. Wenn es an etwas mangelt, dann an Gesetzesfolgenabschätzung.

Welche Erfahrungen gibt es zum Thema Monitoring der Luftqualität aus Deutschland? Lässt man die die politischen Diskussion um Feinstaubbelastung, Stickstoffdioxid und Dieselautos in Deutschland Revue passieren, dass sollte sich der Gesetzgeber in Russland im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses mit drei weitergehenden Fragenkomplexen beschäftigen: Messung, Grenzwerte und der Durchsetzung von Fahrverboten. Die entscheidenden Fragen lauten:

Was messen wir, wo und wie oft? In Deutschland messen 352 Messstationen einmal in der Stunde die Konzentration von fünf Schadstoffen, Feinstaub (PM10), Kohlenmonoxid (CO), Ozon, Schwefeldioxid (SO2) und Stickstoffdioxid (NO2). Daraus werden Tagesmittel-, Acht-Stundenmittel-, bzw. Ein-Stundenmittel-Werte berechnet. Diese Luftdaten sind tagesaktuell für alle 352 Messstationen frei zugänglich online z. B. über die Seite des Umweltbundesamtes verfügbar. Die 16 Bundesländer verantworten die Messung, sie werden dann in Zusammenarbeit mit dem UBA ausgewertet.

Der russische Gesetzgeber muss also entscheiden, wie viele solcher Messstationen er wo aufstellt, um ein realistisches Bild von der Luftqualität in Russland zu erhalten. Messstationen stehen bereits an zahlreichen Punkten, zum Beispiel auf dem Gartenring in Moskau nähe Kreuzung Prospekt Mira. Er muss zweiten die Regionen und die russische Umweltbehörde befähigen, die Daten zusammenzuführen, auszuwerten und schließlich zu veröffentlichen.

Ist das jetzt schon schlechte Luft? Was schlechte Luft ist, das hat für Deutschland die EU festgelegt (EU Richtlinie 2008/50/EG). Die Luft hat demnach eine schlechte Qualität, wenn die Luft mehr Schadstoffe enthält, als vorgeschrieben. Die Grenz- und Zielwerte für die einzelnen Schadstoffe hat der deutsche Gesetzgeber von der EU übernommen (39. Verordnung zur Emissionsschutzverordnung). Jede Station misst also z. B. jede Stunde, wieviel Mikrogramm, das ist ein Millionstel Gramm, Feinstaub, das sind klitzekleine Teilchen, die aus Schornsteinen, Auspuffen und bremsenden Reifen kommen, in einem Kubikmeter Luft, das ist ein Paket, dass 1m hoch, 1m breit und 1m lang ist, enthalten sind. Aus allen Werten eines Tages berechnet ein Computer den Mittelwert. Die kritische Grenze für den von grobkörnigem Feinstaub PM10, es gibt auch Feinkörnigen Feinstaub PM2,5, der sog. Tagesmittelwert ist 50 μg/m³. 35-mal im Jahr darf die Luft an der Messstation dreckiger sein als 50 μg/m³, aber nicht öfters.

Die Station misst die Feinstaubbelastung jede Stunde und das ein ganzes Jahr lang. Tagsüber gibt es mehr rauchende Schornsteine und fahrende Autos als Nachts. Im Winter wird mehr geheizt als im Sommer. Deshalb nimmt man alle Messwerte eines Jahres und berechnet daraus ebenfalls einen Jahresmittelwert. Im Jahresmittel darf die grobkörnige Feinstaubbelastung (PM10) nicht höher sein als 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (40 μg/m³).

Genauso wird der Gehalt von Stickstoffdioxid (NO2) in der Luft gemessen. Auch dort darf die gemessene Belastung übers ganze Jahr hinweg (Jahresmittelwert) nicht höher sein als 40 μg/m³.

Übernimmt Russland diese EU-weiten Grenzwerte? Oder geht man darüber hinaus? Die WHO legt deutlich schärfere Maßstäbe an. Laut WHO sollte der Tagesmittelwert an Feinstaub die Konzentration von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter idealerweise höchstens drei Mal im Jahr überschreiten, und nicht 35 Mal, wie es die EU erlaubt. Es ist gut, dass die deutschen Grenzwerte von der EU kommen, in anderen Worten, dass die deutschen Regelungen im europäischen Rahmen eingehegt sind. 2018 versuchten sich der Bundesverkehrsminister und mit ihm das gesamte Kabinett der EU-Grenzwerte zu entledigen und sie einfach aufzuweichen, um Fahrverbote zu umgehen. Frei nach dem Motto: Der Grenzwert nervt – dann weg damit! Eine Möglichkeit wäre, dass Russland sich informell an die EU-Standards bindet. Jede nachträgliche Aufweichung hätte dann hohe Reputationskosten, das würde möglichweise abschrecken.

Wer setzt Fahrverbote und Fabrikschließungen durch? Schmutzige Luft hatte viele Ursachen, Fabrikschlote, Autos und Heizungen verursachen relevante Anteile. Noch komplexer als die Ursachenanalyse sind die administrativen Gegenmaßnahmen. Die schönsten Messungen nützen nichts, wenn Luftverschmutzung folgenlos bleibt. Diese Situation gab es in Deutschland jahrelang, wo die Grenzwertüberschreitungen in Dutzenden deutschen Städten Achselzuckend hingenommen wurden. Die Luftreinhaltepläne der Länder haben zwar zahlreiche Einzelmaßnahmen erarbeitet, eine effektive Verbesserung der Luftqualität ist dadurch z. B. aber im Verkehrssektor nicht eingetreten. Hier ist zum Beispiel Moskau im Vorteil gegenüber Berlin. Während in Deutschland über kostenlosen Nahverkehr diskutiert wird (eine Maßnahme, die ohne Taktverdichtung weitgehend Sinn frei ist), setzt Moskau unter seinem Bürgermeister Sobjanin ein integriertes Verkehrskonzept um. Es gibt seit 2015 eine neue innerstädtische S-Bahn, Dutzende neue Metrostationen auf bereits bestehenden Linien und seit Ende 2019 ein neues Regionalzugsystem. Das wird ergänzt durch Elektrobusse im Zentrum, Fahrrad und Rollerleihstationen eines einzigen (!) Anbieters und ein Car-Sharing System. Es können konkret mehr Menschen schneller, komfortabel, sicher, zuverlässig, sauber und kostengünstig als vor fünf Jahren von A nach B kommen – damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch tatsächlich vom Auto auf den ÖPNV umsteigen.

Die entscheidende Frage für das russische Gesetz über Umweltinformationen ist, wer welche Maßnahmen verantwortet und umsetzt, wenn die Luftqualität schlecht ist. Ist die Moskauer Stadtregierung bereit, Fahrverbote für Dieselmotoren durchzusetzen, wenn Grenzwerte dauerhaft überschritten werden?

Wenn interessiert es, ob die Luft schlecht ist? Mit anderen Worten, hat das alles systemdestabilisierenden Charakter? Umfragewerte deuten darauf hin, dass Umweltschäden und speziell Luftverschmutzung in Russland zu einem gewissen Grade wahrgenommen werden. Ob die  Wahrnehmung von Umweltverschmutzung Wahlentscheidungen beeinflusst, ist jedoch fraglich und für Russland nicht empirisch belegt.

Es gibt jedoch zwei interessante historische Beispiele mit Bezug zum Thema: Die USA haben in den 1990ern und 200ern die Luftverschmutzung in Beijing in ihrer Botschaft gemessen und die Daten online gestellt. Die Stadtregierung hatte die Umweltdaten bis dato nicht selbst veröffentlicht. Umweltinformationen wurden hier jahrelang erfolgreich als Instrument verwendet, um von ökologischen Defiziten argumentativ auf politische Defizite überzuleiten. Ein solches Szenario ist auch für Russland denkbar.

Die politische Oppositionsbewegung in der DDR gewann Zulauf, indem sie Proteste gegen Umweltverschmutzung durch Industrie- und Chemiebetriebe aufgriff und instrumentalisierte. Dieses Szenario hat Parallelen zu den aktuellen Müllprotesten im Moskauer Umland und in Nordrussland.