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Mach keinen Blödsinn mit dem Müll

Dieses neue Plakat zur Mülltrennung im Retro-Stil hängt seid dieser Woche in unserem Hausflur:

Albere nicht (mit dem Abfall) herum

Damit erinnert die Moskauer Stadtverwaltung alle Einwohner an das neue 2-Tonnen-System zur Mülltrennung: Blaue Tonne für Verpackungsmüll, graue Tonne für Restmüll.

Das 2-Tonnen Minimalprinzip gibt es in Moskau seit 2019. Es ist Teil der laufenden russischen Abfallwirtschaftsreform. Aktuell werden nur etwa 10% des Abfalls in Russland verwertet; 90% landen also unbehandelt auf Deponien. Das Ziel lautet, die Recyclingquote bis 2025 auf 65% zu erhöhen, dem Niveau der deutschen Abfallwirtschaft. Durch die Pandemie wird diese Zielsetzung voraussichtlich auf 2030 verschoben.

Die russische Reform steht vor fünf zentralen Herausforderungen:

1. Illegale Mülldeponien: das geplante Deponieverbot für unbehandelte Abfälle erfordert die Beseitigung der unzähligen illegalen Deponien im ganzen Land. Verantwortlich sind am Ende des Tages die jeweiligen Kommunen, denen fehlen aber Einnahmequellen und administrative Kapazitäten Verursacher zu ermitteln oder zur Rechenschaft zu ziehen

2. Ausbau der Recycling-Infrastruktur: Russland setzt auf den deutschen Pfad der thermischen Verwertung, mit all seinen Fehlanreizen. Sinnvoller wären Verfahren zur Nutzung von Sekundärrohstoffen.

3. Grüne öffentliche Beschaffung: russische Behörden und Unternehmen müssen stärker ökologische Kriterien beim Einkauf berücksichtigen. Damit kann die Nachfrage nach Sekundärrohstoffen angekurbelt werden, Nischenanbietern kann der Markteintritt ermöglicht werden.

4. Lokalisierungsstrategien: jede der 85 Regionen muss ihren eigenen Abfallwirtschaftsplan entwickeln und umsetzen. Die demografischen, geographischen und sozioökonomischen Unterschiede zwischen den Regionen sind enorm. One-size-fits-all Lösungen passen nicht.

5. Erweiterte Produzentenverantwortung

6. Reform der Müllgebühren: politisch heikel, denn die Haushalte müssten in Vorleistung gehen, um die Erweiterungen der Infrastruktur zu finanzieren.

Es bleibt also viel zu tun. Die Retro-Plakate leisten ihren Beitrag für nachhaltigeren Umgang mit Müll.

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VII. Internationale Konferenz für Student*innen und Doktorand*innen „Welt und Wissenschaft“ 2021

Heute findet bereits zum siebten Mal die jährliche deutschsprachige Internationale Konferenz für Studenten und Doktoranden „Welt und Wissenschaft“ 2021 an der Higher School of Economics in Moskau statt. Ich hatte die Freude, die Veranstaltung wie folgt eröffnen zu dürfen:

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, im Namen des Organisationskommittees und aller Sektionsleiterinnen und Leiter begrüße ich Sie alle ganz herzlich zur VII. Internationalen Konferenz für Studenten und Doktoranden „Welt und Wissenschaft“ 2021. Mein Name ist Tim Jäkel, von der School of Politics and Governance der HSE. Das Organisationskomittee, das sind Frau Professorin Dr. Uspenskaja und Dr. Julia Pasko von der School of Foreign Languages der HSE.

Ganz Corona-konform führen wir die Konferenz auch dieses Jahr wieder online durch. Im zweiten Pandemiejahr haben wir gelernt, damit zu leben.

Wir haben ein vielfältiges Programm, 46 Vorträge in sechs Sektionen. Die Sektionen werden geleitet von Frau Dr. Iris Bäcker, Dr. Christian Fröhlich, Dr. Martin Beisswenger, Dr. Dirk Meissner, Dr. Pjotr Rezvykh, Herrn Alexander Dreut und mir.

Eine wirklich interdisziplinäre Konferenz

Uns erwarten spannende Fachvorträge von Referentinnen und Referenten aus 15 russischen und deutschen Universitäten: Wir haben sechs Sektionen, aber die Themen verbinden sich darüber hinaus. Welt und Wissenschaft ist eine wirklich interdisziplinäre Konferenz.

Man könnte die Konferenz unter folgendes Motto stellen: „Eine Diskussion über die schlechteste und die bestmögliche Welt“.

Das ist der Titel des Vortrages von Natalia Chepeleva (Lomonossow-Universität, Moskau) und er gefällt mir hervorragend. Denn er fasst die Vielfalt der Vorträge ganz ausgezeichnet zusammen.

Eine Auswahl der Themen

Das letzte Jahr war ein Jahr voller Unsicherheit. Es hat uns mehr als deutlich vor Augen geführt, wie fragil unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ist. Die 46 Vorträge auf der heutigen Konferenz beleuchten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkeln die vielfältigen Ursachen, Details von Problemen, aber auch Wege für eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft dar.

Digitialisierung

Die COVID-19-Krise führt zu einem unumkehrbaren Digitalisierungsschub u.a. in der Arbeitswelt, im Bildungsbereich und im Bankensektor. Die Vorträge von Angelika Zaytseva (RUDN, Moskau), Anna Bazarova (Staatliche Universität für Management, Moskau), Artem Khomyakov (Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Moskau) und Sofia Mikhailova (Staatliche Universität Sankt Petersburg) behandeln die Digitalisierung im Hochschulbereich im Bankensenktor.

Nachhaltigkeit

Eine zentrale Herausforderung im 21. Jahrhundert ist die Transformation in eine kohlenstoffarme Kreislaufwirtschaft. Mich freut daher besonders, dass wir mehrere Vorträge zum Thema Nachhaltigkeit haben:

wie wirken sich Urbanisierung und Versiegelung in den Städten auf die globale Klimaentwicklung aus (Diana Volokhova, TU Braunschweig)?

Die Pandemie verschärft die soziale Ungleichheit. Extreme Armut nimmt wieder zu. Wie kann Ziel 1 der SDGs, Bekämpfung der Armut, trotzdem erreicht werden? Dazu vergleicht Katerina Kravtsova (Staatliche Universität Sankt Petersburg)  Reformen in der Sozialpolitik in Deutschland und Russland.

Kernenergie ist eine klimaneutrale, aber nicht erneuerbare Energie – soll man sie nutzen, um Klimaziele zu erreichen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Anastasia Galkina (HSE, Moskau).

Die Vorträge in der Sektion Recht in Theorie und Praxis (unter der Leitung von Alexander Dreut) beleuchten aktuellen Trends bei der Reform des Rechtssystem in Deutschland und Russland, etwa:

  • Wer haftet für die Schulden eines Verstorbenen? „In der UdSSR hinterließen die Bürger nicht oft Schulden“, heutzutage ist das anders und muss ordentlich geregelt werden. Wie, das skizziert Sergey Borja vom Forschungszentrum für Privatrecht beim Präsidenten der Russischen Föderation, Moskau
  • Durch die Covid-19-Pandemie gab es auch Bewegung bei Geschworenengerichten in Russland. Hier bringt uns Alexandra Kuzina (Staatliche Universität Sankt Petersburg) auf den neuesten Stand.
  • Ulvi Ocaqli (RUDN, Moskau) trägt zu einem wichtigen Thema vor, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche.

Identität, Erinnerungskultur und Migration

Wir haben einen Block mit Vorträgen über die Identität, Erinnerungskultur und Migration. Zum einen in der Sektionen Soziologie und Politik und in der Sektion Vergangenheit und Gegenwart:

  • Kamila Minikhairowa geht in ihrem Vortrag der Frage nach, ob es sowas wie eine deutsche Identität überhaupt noch gibt.
  • Filipp Fomichev und Anastassiya Krovitskaya liefern zwei Beiträge zur deutschen Erinnerungspolitik und dem doppelten Blick russischer Studenten auf diese Erinnerungspolitik
  • Darja Rjasanzewa präsentiert die Ergebnisse einer empirischen Studie über junge Russlanddeutsche in Moskau.
  • Anna Pravdyuk (HSE, Moskau) stellt ein interessantes Buchprojekte über Erinnerungsorte in Berlin vor, darunter so unterschiedliche Orte wie der SchwuZ Queer Club und das Sowjetische Ehrenmal.

Kunst, Kultur und Translation

Aber es geht bei unserer Konferenz nicht immer nur um Krisen oder darum, was schlecht läuft und was man wie besser machen könnte.

Es geht genauso um das Schöne, um russische und deutsche Literatur, um Kultur und um die Kunst, diese Schönheit in die jeweils andere Sprache zu übertragen.

In der neuen Tretjakov-Gallerie in Moskau

Hier möchte ich nur einige Beispiele aus der Sektion von Frau Dr. Iris Bäcker herausgreifen:

  • Anna Woronina: wie sieht ein russischer Literaturnobelpreisträger, Ivan Bunin, die Alpen, ein steoreotyper kontinentaleuropäischer Sehnsuchtsort.
  • Iana Prosolovich: Und wie sieht eine deutsche Dichterin, Marion Poschmann, Russland? „Welche Einflüsse haben die Russlandreisen auf Poschmanns Poetik ausgeübt?“

Fühlen, Denken, Ausdrücken

Apropos, Kunst und Transformation: Streetart ist „Ausdruck von Transformationsprozessen der modernen Gesellschaft“; Daria Smirnova (Lomonossow-Universität, Moskau) bringt uns diese moderne Streetart im Stadtraum von Russland und Deutschland näher.

Streetart in Moskau

Sammelband zur Konferenz

Alle Vorträge sind spannend, es fällt einem schwer, sich für eine Sektion zu entscheiden. Sollten Sie einen Vortrag verpassen – keine Sorge, denn wie jedes Jahr werden wir im Nachgang zu dieser Konferenz wieder einen Sammelband herausgeben. Hier hat jeder die Möglichkeit, einen verpassten Vortrag noch nachzulesen. Ich nutze hier auch schon die Gelegenheit, alle Teilenehmerinnen und Teilnehmer einzuladen, ihre redigierten Beiträge einzureichen. Die Details dazu teilen wir Ihnen im Nachgang zur Konferenz mit.

Die Sammelbände der bisherigen Konferenzen finden Sie – Open Access – hier:

Cover des Sammelbands zur Konferenz 2019

Alles das wäre nicht möglich, ohne das leidenschaftliche Engagement und die hochprofessionelle Leitung und Organisation von Frau Prof. Dr. Uspenskaja und Dr. Julia Pasko von der School of Foreign Languages der HSE. Ihnen gilt mein ganz besonderer Dank.

Das deutsche Kollegium an der HSE, Frau Dr. Iris Bäcker, Dr. Christian Fröhlich, Dr. Martin Beisswenger, Dr. Dirk Meissner, Dr. Pjotr Rezvykh und natürlich Herr Dreut von der AHK leisten als Sektionsleiterinnen und Leiter ebenfalls wie jedes Jahr eine großartigen Job.

Ich danke ebenfalls unseren diesjährigen Partnern für ihre Unterstützung der Konferenz. Das sind die AHK, der Deustche Akademische Austauschdienst (DAAD), die Hans Seidel Stiftung (HSS) und die Ruhr-Universität Bochum.

Podiumsdiskussion Deutsch-Russische Beziehungen: Widersprüche und Perspektiven

Bevor wir mit den Fachvorträgen in den einzelnen Sektionen beginnen, darf ich Sie zu einer Diskussionsrunde einladen über den Stand und die Perspektiven der deutschen russischen Beziehungen, sozusagen aus der Vogelperspektive.

Ich freue mich wirklich sehr, dass wir dazu vier hochkarätige Expertinnen und Experten aus Deutschland und Russland begrüßen können. Es diskutieren:

  • Alina Falzon: Referentin beim Auswärtigen Amt, in dieser Position in der Deutschen Botschaft in Moskau tätig.
  • Dr. Frank Hoffmann ist Geschäftsführer des Instituts für Deutschlandforschung an der Ruhr-Universität Bochum. Herr Dr. Hoffman und die Kollegen von der HSE kooperieren u.a. im neuen Germanica Studiengang an der HSE.
  • Prof. Dr. Alexander Tschepurenko ist Professor am Department für Ökonomische Soziologie der HSE in Moskau. Er ist akademischer Leiter des Instituts für Soziologie an der HSE. Herr Prof. Tschepurenko ist ein ausgezeichneter Kenner der deutschen und der Russischen Forschungslandschaft, war selbst Humboldtstipendiat und später in der Humboldstiftung aktiv. Prof. Tschepurenkoist ein beherzter Unterstützer der Konferenz Welt und Wissenschaft. Ich freue mich sehr, Sie auch in diesem Jahr begrüßen zu dürfen.
  • Jan Dresel ist der Leiter des Büros der Hanns-Seidel Stiftung in Moskau. Hat mit seiner engagierten Arbeit die HSS als wichtigen Knoten im deutsch-russischen Netzwerk etabliert. Regelmäßig führen Herr Dresel und die HSS Veranstaltungen zu Zukunftsthemen durch, ich denke da nur an die Kooperation zwischen deutschen und russischen Unternehmen bei der Recyclingreform. Herr Dresel, vielen Dank, dass Sie heute mit an Bord sind!

Ich wünsche Ihnen allen eine spannende und erfolgreiche Konferenz!

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How Political and Administrative Sciences may help to spur pro-environmental behavior

Had an inspiring Roundtable Discussion on how to promote waste minimization at the #ESRCFestival of Social Science 2020 with Elene Sautkina and Henning Wilts. Here’s the Video on YouTube:

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Die Politische Ökonomie des Schwimmens

Zurzeit laufen im Fernsehen oder (je nach Land) im Internet die ISL Wettkampfschwimmen. Schwimmen kenne ich, aber ISL – ??? ISL steht für International Swimming League, eine neue internationale Liga fürs Profischwimmen.

Das ist deswegen erwähnenswert bzw. einen Blogpost wert, weil es bisher einen Monopolisten gab, die FINA, den Weltschwimmverband, der alle Wettbewerber erfolgreich unterdrückte. So ähnlich wie im Profifußball, da gibt es denn DFB und seine Bundesliga, und sonst nix. Seit 2019 gibt es nun die ISL und die organisiert auch Schwimmwettkämpfe. Und die sehen doch ziemlich anders aus, als das, was Sie von Olympia oder vom lokalen Schwimmtreffen kennen.

Klar, es schwimmen weiterhin Menschen auf vier verschiedene Arten (in vier unterschiedlichen Lagen) unterschiedlich lange Strecken (zwischen 50m und 200m). Hier ist allerdings schon der erste Unterschied, es werden also nur Kurzstrecken (Sprint) und kurze Mittelstrecken (200m) geschwommen, aber nicht die 400, 800m und 1.500m Kraul. Obwohl die erst richtig spannend sind, aber das dauert zu lange.

Die Grundlogik kennen Sie vom Schulschwimmen und den Stadtschulmeisterschaften: alle springen gleichzeitig rein und es gewinnt die oder der Schwimmer, der als erster anschlägt. Und das war es dann im Prinzip auch. Erster, zweiter und dritter bekommen eine Medaille und gehen zum Ausschwimmen (eigentlich andersherum) oder nach Hause. Es kann also sein, dass ein Schwimmer sich nur auf eine einzige Distanz, sagen wir 100 Freistil, konzentriert. Er wird nur diese eine Distanz schwimmen und versuchen zu gewinnen. Zeit spielt auch eine Rolle, aber man muss keinen neuen Weltrekord aufstellen, um Erster zu werden.

Und so werden dann alle Kombinationen durchgearbeitet, jede Lage auf einer bestimmten Distanz, erst die Frauen, dann die Männer. Also z. B.

50m Freistil Frauen

50m Freistil Männer

100 Rücken Frauen

100m Rücken Männer

200m Brust Frauen

200m Brust Frauen. usw.

Für jedes einzelne der zahlreichen Rennen gibt es einen Sieger. Das ist das FINA Prinzip. Wenn Du Deine Familie mit einer Goldmedaille beindrucken willst, musst Du einfach schneller sein, als die sieben Anderen Typen im Becken. Ob die anderen in Deinem Schwimmverein, mit denen Du im Bus zurück fährst, das auch schaffen, ist ihr Problem.

Hier ist das ISL-Prinzip: Es gibt nicht X Sieger, sondern nur Einen. Genauer gesagt, nur ein Team kann gewinnen. Die Schwimmer bilden Teams und es konkurrieren Teams. Es gewinnt das Team, mit den meisten Punkten Punkte bekommt Frau oder Mann, wenn man gegeneinander schwimmt. Auch bei der ISL springen acht Menschen ins Wasser und schwimmen alle in derselben Lage dieselbe Strecke, also z. b. die 100m Freistil, die „Königsstrecke“ (m/w/d). Wer zuerst anschlägt bekommt 9 Punkte, der zweite 7 Punkte, der letzte (achte bekommt) noch einen Punkt. Bei einem ISL werden also genauso zahlreiche Strecken in allen Lagen geschwommen – und die Punkte, die jedes Team dabei gewinnt, werden zusammengezählt. Wer am Schluss die meisten Punkte hat, bekommt den Pott – und die meiste Kohle.

Das ist das Grundprinzip:

  • Teambasiert
  • Teams sammeln Punkte
  • wer in einem Rennen zuerst anschlägt, bekommt die meisten Punkte.

Es gibt noch diverse Bonuspunkte und Extrawertungen. Aber die Zeiten der Gewinner spielen im Vergleich zu FINA Events eine untergeordnete Rolle. Die Siegezeit wird gar nicht angezeigt, sondern nur wer Erster ist und wer wie viele Punkte bekommt. Sieht aus wie bei einem Videospiel.

ISL Events sind bunt, hipp oder cool. Du fühlst Dich auf jeden Fall nicht lost, wenn Du das schaust. Wenn die FINA Events die Lego Classic Box sind, dann sind die ISL Wettkampfschwimmen der Hidden Side Doppeldecker.

In einem Team sind bis zu 30 Schwimmerinnen und Schwimmer aus verschiedenen Ländern. Wie bei Bundesligavereinen – bei der ISL schwimmen Teams gegeneinander und nicht Nationalmannschaften. Die Teams haben lustige Namen, zum Beispiel „die Froschkönige aus Tokyo“ (Tokyo Frog Kings, mit Vladimir Morozov). Deutsche Schwimmstars schwimmen auch mit, Philip Heintz gehört zu den Aqua Centurions, Marius Kusch (Europameister über die 100m Schmetterling auf der Kurzbahn) schwimmt für London Roar.

Was bedeutet das alles für Nicht-Schwimmfanatiker? Erstens, Konkurrenz belebt das Geschäft. Die ISL hat es fertig gebracht, das FINA-Monopol auf Schwimmevents zu brechen. Die FINA hat darauf reagiert und selbst ein neues Wettkampformat eingeführt. Das ist also wie bei der Deregulierung der der Fernbusse in Deutschland, die der Deutschen Bahn zahlreiche Wettbewerber und dem Kunden sinkende Preise beschert hat. Ob das nachhaltig und umweltfreundlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Zweitens: Sportevents sehen im Fernsehen auch ohne Zuschauer ziemlich gut aus. Es ist also realistisch, dass Olympia 2021 ohne Zuschauer stattfinden wird.

Drittens: Die ISL macht mit dem Event Druck aufs Öffentlich-rechtliche Fernsehen. ARD und ZDF haben sich als unfähig oder unwillig erwiesen, Schwimmen prominent im Fernsehen zu zeigen. In anderen Ländern, z. B. in Russland laufen die ISL Events dagegen im regulären Kabelfernsehen. In Deutschland posten nur www.swim.de und www.swimswam.com Zusammenfassungen. Es bleibt also zu hoffen, dass das neue Format auch in Deutschland in 2021 zu mehr Vielfalt bei den Öffentlichen Rechtlichen führt.

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CO2-Bepreisung gewinnt Deutschen Umweltpreis 2020

Ottmar Edenhoffer erhält den Deutschen Umweltpreis 2020 für seinen „wissenschaftlichen Lösungsansatz, einen Preis für den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2) zu verlangen“.

Ottmar Edenhoffer ist Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der TU Berlin und Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung.

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die den Umweltpreis vergibt, belobigt damit finanzielle Anreize als Instrument für Klima- und Naturschutz.

3Sat präsentiert den Preisträger in einem 3minütigen Clip, den man hier anschauen kann: https://youtu.be/tymTIU8_Jg0

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Mehr Steuergeld für weniger Lärm: Stand und Perspektiven grüner öffentlicher Beschaffung

Kehrmaschinen beseitigen Schmutz und Laub von Straßen und Gehwegen. Das verhindert Unfälle im Straßenverkehr und von Fußgängern, außerdem entspricht es dem menschlichen Bedürfnis nach Sauberkeit und einer gewissen Ordnung. Kehrmaschinen machen bei ihrer Arbeit allerdings extremen Krach. Außerdem stoßen sie, wie alle Verbrennungsmotoren, in großem Umfang Schadstoffe aus. Kommunale Nutzfahrzeuge, dazu gehören auch noch Müllfahrzeuge, Kehrmaschinen, Busse, aber auch Laubbläser, sind eine Quelle von Lärm- und Luftverschmutzung. Und viel Lärm und Dreck macht auf die Dauer krank.

Wenn spätabends oder sogar nachts Kehrmaschinen durch ein Wohngebiet rollen, ist das extrem ärgerlich und rücksichtlos von der zuständigen Verwaltung. Wer tagsüber arbeitet oder lernt, hat abends und nachts ein Recht auf Erholung und gesunden und ruhigen Schlaf.

Der Zeitpunkt der Lärmverschmutzung lässt sich relativ leicht ändern, wenn die Verwaltung die Maschinen tagsüber nur zu bestimmten Uhrzeiten losschickt. Die Intensität der Lärmverschmutzung lässt sich nicht so leicht beeinflussen. Eine Möglichkeit besteht darin, beim nächsten Mal ein geräuschärmeres Müll oder Kehrfahrzeug anzuschaffen. Und an dieser Stelle kommt die öffentliche Beschaffung ins Spiel. Denn, wo Nachfrage ist, ist auch Angebot.

Das Bundesumweltamt hat dazu heute eine interessante Studie sowie einen praktischen Leitfaden für umweltfreundliche öffentliche Beschaffung veröffentlicht. Beides fügt sich sehr gut zusammen.

Umweltfreundliche Beschaffung in den deutschen Bundesländern im Jahr 2020

Die Studie von Thomas Schneider und Vanessa Schmidt (Schneider and Schmidt, 2020) gibt eine aktuelle Auskunft über den Stand der umweltfreundlichen Beschaffung in den deutschen Bundesländern im Jahr 2020. Fast alle Bundesländer haben mittlerweile Soll-Vorschriften zu ökologischen Vergabekriterien in ihren Landesabfallgesetzen und Vergabegesetzen eingetragen. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind allerdings die klaren Vorreiter, wenn es darum geht, diese hehre Grundsätze und Ziele in konkrete Verwaltungsvorschriften, Leitfäden oder Vergabehandbücher umzusetzen.

Hindernisse für umweltfreundliche Beschaffung

Frühere Studien haben drei Hindernisse für nachhaltigere öffentliche Beschaffung herausgearbeitet: Ein vermeintlich hoher Anschaffungspreis von nachhaltigen Produkten gegenüber konventionellen Produkten, mangelnde Unterstützung der Entscheidungsträger gepaart mit der Angst der Beschaffer, Fehler in der Ausschreibung zu machen, behindern die Aufnahme ökologischer und sozialer Kriterien in den kommunalen Vergabeprozess (Hepperle, 2016; Sandberg, 2013; Broens et al., 2018). Städte und Landkreise in Deutschland stehen mit diesen Problemen nicht allein da. Eine frühere, nicht-repräsentative Umfrage unter Kommunen in europäischen Ländern aus dem Jahr 2005 hat ergeben, dass die „beiden Haupthindernisse für eine Ausweitung [umweltfreundlicher Beschaffung] ein Mangel an Informationen zu Kriterien und Möglichkeiten der umweltfreundlichen Beschaffung und ein Mangel an (finanziellen) Ressourcen [sind].“ (Ochoa and Günther, 2005, S. 27-28). Für Kommunen, die bereits Umweltkriterien in Beschaffungsausschreibungen integrieren, ist der Mangel an finanziellen Ressourcen das Haupthindernis. Nachzüglern mangelte es dagegen an praktischen Informationen.

Leitfaden Schadstoff und Geräuschbelästigungen

Bei letzteren leistet der aktuelle Leitfaden des Umweltbundesamtes (Umweltbundesamt, 2020) Abhilfe: er legt konkrete Anforderungen und Prüfwerte für Kommunalfahrzeuge fest und fügt ein Abfrageformular/Anbieterfragebogen bei, mit dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beschaffungsämtern Angebote sinnvoll vergleichen können.

Öffentliche Beschaffungsämter arbeiten mit Leistungsanforderungen. Konkret legt die Beschaffungsstelle Zuschlagskriterien fest. Zuschlagskriterien bewerten die Wirtschaftlichkeit einer Leistung (in diesem Fall eine Kehrmaschine oder ein Müllfahrzeug), die ein Unternehmen anbietet. Das wirtschaftlichste Angebot, d.h., das Angebot, dass den Kriterien und Anforderungen am ehesten entspricht, erhält den Zuschlag und wird gekauft. Der Preis und die Lebenszykluskosten eines Produkts sind sehr wichtige Kriterien. Aber es hat sich mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, dass Umwelteigenschaften ebenso berücksichtigt werden sollten. Bei Müllfahrzeugen sollten konkret Geräuschbelästigungen ein gewisses Maß nicht überschreiten. Die Beschaffungsstelle steht also vor der Herausforderung, die Betriebsgeräusch vergleichend zu bewerten und zu berücksichtigen.

Das Betriebsgeräusch eines Kommunalen Nutzfahrzeugs wird anhand des Schallleistungspegels, gemessen in Dezibel (dB), bewertet. Den Wert, den die Maschine nach Ansicht des Leitfadens nicht überschreiten sollte, hängt von der Leistung des Verbrennungsmotors an (in PS bzw. kW, wie beim Auto). Der Prüfwert liegt zwischen 95 und 104 dB plus Standardabweichung oder Unsicherheitsfaktor. Ein Beispiel: Wendet man diese Umwelteigenschaften als Ausschlusskriterium an, dann dürfte eine Kehrmaschine mit 4,4kW Leistung und 99dB Schallleistungspegel LWA nicht gekauft werden. Denn der Schallleistungspegel liegt selbst bei einem Unsicherheitsfaktor von 3dB über dem zulässigen Prüfwert LWad von 98 dB, den der Leitfaden vorschlägt.

Themen für künftige Forschung

Ungeklärt und ein spannendes Thema für künftige anwendungsorientierte verwaltungswissenschaftliche Forschung ist nun die Frage, wie bekannt diese Handbücher und Leitfäden in den Beschaffungsämtern der großen Städte sind. Wird von ihnen tatsächlich Gebrauch gemacht, wenn es darum geht, beim Zuschlag für ein Angebot nicht nur auf die Lebenszykluskosten, sondern auch auf Umwelteigenschaften zu schauen? Gibt es empirische Evidenz dafür, dass tatsächlich mehr Steuergeld nach Umweltkriterien ausgegeben wird?

Die Studien

Broens, M.; Blank, F.; Fischer, J.; Bogaschewsky, R. (2018): Biobasiert Produkte im öffentlichen Einkauf, Cebra-Magazin, abzurufen unter: https://www.vubn.de/userfiles/memberdocs-6b5b15bcfb0a80b0acc59a1f4367f87d.pdf

Hepperle , Florian (2016). Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung: Eine empirische Studie auf kommunaler Ebene in Baden-Württemberg. Springer Gabler. Dissertation Uni Ulm.

Ochoa, A. and D. Günther (2005). Umweltfreundliche Beschaffung in Europa – Ergebnisse einer Befragung unter öffentlichen Beschaffern. Umweltfreundliche öffentliche Beschaffung: Innovationspotenziale, Hemmnisse, Strategien. R. Barth, C. Erdmenger and E. Günther. Heidelberg, Physica-Verlag: 23-31.

Sandberg, B. (2011). „Vergabefremde Ziele in der öffentlichen Beschaffung.“ VM Verwaltung & Management 17(2): 59-66.

Schneider, T. and V. Schmidt (2020). Regelungen der Bundesländer auf dem Gebiet der umweltfreundlichen Beschaffung, Umweltbundesamt: Texte 126/2020. URL: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-07-02_texte_126-2020_regelungen-bundeslaender-beschaffung.pdf

Umweltbundesamt (2020). Leitfaden zur umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung: Kommunalfahrzeuge, Umweltbundesamt: Ratgeber 24. URL: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/leitfaden_zur_umweltfreundlichen_oeffentlichen_beschaffung_kommunalfahrzeuge.pdf

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Buchbesprechung: Manow, Philip, Die Politische Ökonomie des Populismus. 2018

Manow, Philip, Die Politische Ökonomie des Populismus. 2018: Suhrkamp Verlag. ISBN: 9783518759943, 160 Seiten.

Zum Autor

Philip Manow ist Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Bremen. Er leitet dort die Abteilung Politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaates.

In der Kürze liegt die Würze

Philip Manow ist sehr gut darin, umfangreiche Themen in kurzen Büchern abzuhandeln. Dieses Jahr hat er im Suhrkamp Verlag auf rund 160 Seiten beschrieben, was er unter der (Ent-)Demokratisierung der Demokratie versteht. N. Taleb gönnte sich 2013 zum Vergleich fast 700 Seiten, um seine Theorie der Antifragilität zu entwickeln und zu erläutern. Taleb ist ohne Frage ein sehr unterhaltsamer Autor, aber ich goutiere es, wenn Autoren mit 200 Seiten oder weniger auskommen. Die Chance, dass ich das Buch am Stück durchlese und dann besprechen möchte, ist einfach größer! Deshalb habe ich bereits Manows aktuelles Buch in einem früheren Post besprochen.

Bereits 2018 entwickelt Philip Manow, ebenfalls im Suhrkamp Verlag und ebenfalls auf nur 170 Seiten, eine Politische Ökonomie des Populismus. Beide Bücher stehen somit in einem engen thematischen Zusammenhang. Und deshalb bespreche ich hier nun auch dieses Buch:

Was ist Populismus?

Manow gibt im ganzen Text leider keine explizite Definition für den Begriff Populismus. Aber seine implizite Definition lässt sich m. E. wie folgt beschreiben: Populismus ist Protest gegen Migration, oder verschärfte Weltmarktkonkurrenz.

Eine Politische Geografie des Populismus

Manow entwirft eine Politische Geografie des Populismus. Seine zentrale Beobachtung und zugleich Annahme ist, dass Populismus keine einheitliche Form hat. Populismus ist für Manow also keine Herrschaftsform oder Art, Politik zu machen, die überall mehr oder weniger gleich praktiziert wird. Die Art und Weise von Populismus unterscheidet sich, und zwar im Wesentlichen zwischen Nord- und Südeuropa. Er unterscheidet in seiner „Politischen Geografie des Populismus“ grob zwischen zwei Spielarten des Populismus: Rechtspopulismus im Norden und Linkspopulismus im Süden Europas.

„Im Süden ist der Populismus tendenziell links, im Norden tendenziell rechts“ (S. 34)

Das erste Kernargument des Buches lautet also: Populismus ist nicht gleich Populismus. Das zweite Kernargument besagt, dass jedes Land in Europa den Populismus hat, den sein Arbeitsmarkt- und Wohlfahrtsstaatmodell „verdient“.

„Es gilt das Anna-Karenina-Prinzip: Jede Politische Ökonomie ist auf ihre ganz eigene Art unglücklich.“ (S. 21)

Denn „Migration wird dort politisch zum Problem, wo der Wohlfahrtsstaat großzügig und zugänglich ist (Kontinental- und Nordeuropa)“ (S. 18)

„[D]ie Effekte der Migration [sind] wesentlicher Teil der Erklärung [von Populismus]. (S. 22)

Philip Manows Vorschlag lautet, „sich auf eine Betrachtung der verschiedenen Kapitalismen einzulassen, um die unterschiedlichen Populismen zu erklären“ (S. 33).

Rechtspopulismus im Norden

Im „Norden“ (dazu zählt Manow Deutschland, Dänemark und Skandinavien) gibt es hohe Produktivität, Weltmarktorientierung und das sozialpolitische Leitbild der Statussicherung (in Deutschland zumindest bis zur Agenda 2010). Der universalistische Wohlfahrtsstaat kompensiert die Risiken einer starken Weltmarktoffenheit.

Im Norden Europas protestieren Arbeitsmarkt-Insider dagegen, dass Sozialflüchtlinge von einem ausgebauten universalistischen Wohlfahrtstaat profitieren, zu deren Aufbau sie nicht beigetragen haben. Das fällt bei Manow unter den Begriff Rechtspopulismus. Insider sind Beschäftigte, die durch starke Gewerkschaften und starken gesetzlichen Kündigungsschutz praktisch unkündbar sind, also Facharbeiter bei Mercedes oder Porsche z. B. Das Gegenteil sind die sog. Outsider, sie kommen über befristete Jobs meist nicht hinaus bzw. nicht in dauerhafte, gut entlohnte Arbeitsverhältnisse hinein. Jugendliche unter 25 Jahre in Italien sind ein klassisches Beispiel für Outsider am Arbeitsmarkt.

Linkspopulismus im Süden

Im Süden ist der Sozialstaat schlecht ausgebaut, zersplittert und bedient die eigene (politische) Gefolgschaft (Klientel, daher klientelistischer Sozialstaat). Das Wachstumsmodell basiert auf Binnennachfrage und Staatsverschuldung. Hier protestieren die Menschen eher gegen die Austeritätspolitik und Reformvorstellungen der Europäischen Union und den ungehinderten Güter- und Warenverkehr innerhalb der EU. Das fällt bei Manow unter den Begriff Linkspopulismus.

Und Deutschland?

Für Deutschland ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Der Text reduziert sich hier im Wesentlichen auf die Frage, „Wer wählt die AfD?“. Viele potentielle Erklärungsfaktoren für den Wahlerfolg der AfD erweisen sich nicht als erklärungskräftig. Einer der empirischen Befunde lautet aber: In Gegenden, in den vor 20 Jahren viele Leute keine Arbeit hatten, erhielt die AfD 2017 viele Zweitstimmen bei der Bundestagswahl.

Plus und Minus

Neben seiner Kürze, hat das Buch zwei konzeptionelle Stärken: es ist erstens theoriebasiert und zweitens datengetrieben. So illustriert Manow mit einer einzigen Abbildung (Schaubild 5.1), dass die nach Europa Geflüchteten ganz ohne Studium der verschiedenen europäischen Wohlfahrtsstaatsmodelle wissen, wo sie hinwollen. Sie gehen ganz einfach dahin, wo der Sozialstaat am großzügigsten ist, d.h. nach Schweden, Norwegen, Deutschland oder Belgien. Diese Länder haben die meisten Flüchtlinge pro 1.000 Einwohner aufgenommen und zugleich die generösesten Wohlfahrtsstaaten (nach den Berechnungen von Lyle Scruggs im Comparative Welfare Entitlements Dataset (CWED)).

Dass es an einer klaren Definition davon fehlt, was Populismus denn genau ist, schwächt das Buch etwas. Manow stellt so sehr auf die Unterschiede der Populismen in Nord und Süd ab, dass er vergisst, darzulegen, ob und welche Gemeinsamkeiten es zwischen beiden Phänomenen gibt. Aber das mindert nicht den sehr positiven Gesamteindruck. Das Buch leistet einen relevanten Beitrag zur Demokratie- und vergleichenden Wohlfahrtsstaatforschung. Das Buch eignet sich daher m. E. sehr gut etwa als Lektüre für Lehrveranstaltungen zum Thema demokratisches Regieren, Politischer Ökonomie oder vergleichender Wohlfahrtsstaatsforschung.

How to cite

Tim Jäkel. 2020. Buchbesprechung: Manow, Philip., Die Politische Ökonomie des Populismus. 2018: Suhrkamp Verlag. ISBN: 9783518759943, 160 Seiten. Abgerufen von https://publicsector-research.net/buchbesprechung-manow-philip-die-politische-okonomie-des-populismus-2018/ am 26. August 2020. [Datum anpassen!]

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Buchbesprechung: P. Manow, (Ent-)Demokratisierung der Demokratie

Manow, P., (Ent-)Demokratisierung der Demokratie: Ein Essay. edition suhrkamp. 2020, Berlin: Suhrkamp. Ebook. 170 Seiten. eISBN 978-3-518-76552-4.

Zum Autor: Philip Manow ist Professor für Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Bremen und leitet das dortige SOCIUM Research Center on Inequality and Social Policy. Vorher hatte er kurzzeitig Professuren in Heidelberg (Politische Theorie) und in Konstanz inne.

Nach seiner „Theorie des Populismus“ (2018, ebenfalls im Suhrkamp Verlag) beschäftigt Manow sich in seinem aktuellen Buch mit etwas Paradoxem, nämlich dass demokratische Gesellschaften einerseits immer demokratischer werden, aber die Demokratie gleichzeitig immer undemokratischer wird. Er nennt sein Buch im Untertitel einen Essay, aber das trifft m. E. nur auf die hintere Hälfte des Buches zu.

Der breitere Kontext des Buches ist die Diskussion über die Krise der Demokratie (so das Buch von Adam Przeworski von 2019), über Populismus, die Klagelieder über die abnehmende Bindewirkung der „etablierten Parteien“ und „Wutbürger“, also Menschen, die am öffentlichen Leben nicht mehr bewusst teilhaben wollen oder können, aber dann manchmal doch auf Demonstrationen auftauchen und auf Telegram Dinge gut finden, die man als politisch inkorrekt bezeichnet.

Die Argumentation und zentralen Befunde des Buches: Im ersten Kapitel führt uns P. Manow knapp 250 Jahre in der Geschichte (der Demokratie) zurück ins 18. Jahrhundert: In eine Zeit, in der der Demokratie zuerst Nichtherrschaft des Volkes bedeutete. „Die Frage der Demokratie lautete […] zunächst, wie das Volk regiert, ohne dass das Volk regiert“ (S. 24) Die Lösung des Problems, wie man das gemeine Volk von der Herrschaft ausschließt, war die Idee der Repräsentation. „Demokratische Repräsentation war also ursprünglich die Lösung eines Problems, das ‚Pöbel‘ oder ‚Menge‘ heisst“ (S. 24). Das hatte zwei Dinge zur Folge: zum einen gibt es in der repräsentativen Demokratie immer eine potentielle Repräsentationslücke, das bedeutet, die Vertreter des Volkes vergessen ihre Wähler. Zum anderen stellen sich die politischen Entscheider die Frage: Wer ist eigentlich repräsentierbar, und wer nicht? Volk ist aber nicht gleich Pöbel; Pöbel ist im zeitgenössischen Diskurs, wer außerhalb der Ehre der Arbeit steht. „Für Kant rechtfertigte das unbürgerliche Verhalten den Ausschluss von der politischen Teilhabe“ (S. 26). Bei Marx und Engels läuft das unter dem Begriff Lumpenproletariat. Die Idee der Volksrepräsentation verstanden als Exklusion des Pöbels – das war im 18. Jahrhundert transatlantischer (intellektueller) Konsens (E. Burke, Ch. Madison, u.a.).

Aus dem 18. Jahrhundert geht es dann zurück ins 21. Jahrhundert. Heute wählen viele Menschen D. Trump. Das gefällt nicht allen. P. Manow weist aber darauf hin, dass man nicht „eine ganze Wählerschaft für getäuscht, unzurechnungsfähig oder moralisch verkommen“ erklären kann, methodisch nicht und demokratietheoretisch nicht (S. 12).

P. Manow diagnostiziert, wie viele andere, die er ausgiebig zitiert und belegt, eine „Krise der Repräsentation, der Funktions- und Legitimationsverlust bewährter Artikulations- und Repräsentationsinstanzen (der politischen Parteien, der Parlamente, der Presse)“ (S. 15). Dabei macht P. Manow deutlich: „Die Populisten sind nicht das Problem der repräsentativen Demokratie […] Sie zeigen nur, dass sie eins hat“ (S: 16). „Die Demokratie, wie wir sie bislang kannten, funktioniert nicht mehr richtig.“ Funktionskrise bedeutet, das Prinzip „repression by government funktioniert nicht mehr wie gewohnt“ (S. 34). Es gibt zwei gleichzeitige, je nach Geschmack paradoxe oder dialektische, Entwicklungen: einerseits Demokratisierung, andererseits Entdemokratisierung. Diese Gleichzeitigkeit ist die „paradoxe Folge des Sieges der Demokratie über aller alternative Formen der Herrschaftslegitimation“ (S: 17). „Demokratisierung bezeichnet schlicht die Ausweitung von Partizipationschancen bzw. den Kollaps tradierter Exklusionsmechanismen.“ (S. 17) In der „demokratischen Demokratie“ gibt es also eine „massive Ausweitung von Chancen zur politischen Partizipation und Kommunikation“ (S. 39). Das Problem der Demokratisierung der Demokratie ist dabei das Problem der Partizipation ohne Repräsentation und der beständigen Ausweitung dieser Partizipation, so P. Manow (S. 35). „[D]ie Primärfunktion der Repräsentation [war] zunächst [die] Exklusion [des sog. Pöbels] (S. 40); und der meldet sich jetzt immer mehr zu Wort, weil es immer mehr Partizipationsmöglichkeiten gibt. „Die Zugangshürden für die Teilnahme am öffentlichen Diskurs sind drastisch gesunken.“

Die These von P. Manow lautet, dass diese Ausweitung der Partizipationschancen die Demokratie „zu bedrohen scheint“. Das ist aber das Paradoxe, es gibt Demokratisierung und Entdemokratisierung gleichzeitig. Das erste geht mit dem zweiten einher, u.a. deshalb, weil der Staat an Bedeutung verliert, er hegt Interessenkonflikte und öffentlichen Diskurs nicht mehr so ein wie früher (S. 116). „Der Pöbel kehrt lautstark wieder, weil die Macht keine Integrationsangebote mehr unterbreiten will oder kann“ (S. 116). Wenn man heute nicht mehr beschränken kann, wer mitentscheidet, dann kann man aber immer noch beschränken, über was entschieden wird“ (S. 37). Damit ist sozusagen die technokratische Lösung gestiegener partizipatorischer Erfordernisse demokratische verfasster Gesellschaften umschrieben.

Kommentare und Anmerkungen zum Buch: Bis 1989 bzw. 1991 konnte sich „die Demokratie“ als bessere Alternative zu anderen Herrschaftsformen z. B. in der DDR, der Sowjetunion, in China, Jugoslawien oder Südafrika präsentieren. Heutzutage, so P. Manow, „droht der Demokratie Gefahr nur noch von der Demokratie selber“ (S. 93) P. Manows Buch zielt also auf das „Binnenverhältnis“ der Demokratie ab, und ist insgesamt auch überzeugend. Allerdings kontrastiert es auch mit einem anderen Trend in der vergleichenden Forschung zu politischen Systemen. Denn was ist mit den sog. neuen Willkürherrschaften (new despotism), wie sie John Keane in seinem Buch von 2019 bezeichnet hat? Laut Keane sind diese scheinbar attraktiven alternativen Formen von Herrschaftslegitimität ja so gefährlich, wie sie demokratische Praktiken erfolgreich imitieren und gleichzeitig scheinbar besser „liefern“. Also, gibt es doch wieder scheinbar verlockende alternative Herrschaftsformen, mit denen sich die liberalen Demokratien herrlich in ihrem Außenverhältnis beschäftigen können? Denn genau das tun sie mit größter Inbrunst und Wonne, siehe Hongkong und Belarus.

Der Gewinn an P. Manows Buch ist, dass sich genau auf das Binnenverhältnis der Demokratie konzentriert. Der erste Teil des Buches argumentiert klar und überzeugend. Und P. Manow belegt seine Aussagen kurzweilig und detailliert an den Beispielen Corbyn, Trump und Macron, also an empirischer Evidenz aus Kerndemokratien. Der zweite Teil des Buches ist dann tatsächlich ein Essay, ohne eindeutige Fragestellung und mit zu vielen losen Enden.

Insgesamt aber ein lesenswerter und interessanter Beitrag zur politischen Theorie demokratischer Gesellschaften in der westlichen OECD-Welt.

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Nachhaltige Verkehrspolitik – gibt’s das in Moskau?

Weniger CO2, das bedeutet weniger Autos in der Stadt. Das ist aber leichter gesagt, als getan. Wenn es keinen ausgebauten ÖPNV gibt, können und werden die Menschen selbst beim besten Willen auch nicht vom eigenen Verbrenner auf Bus und Bahn umsteigen. Elektromobilität sind auch keine echte Alternative, denn Elektroautos lösen zwei anderen Hauptprobleme individueller Mobilität nicht: auch Elektroautos verstopfen erstens die Straßen und stehlen zweitens allen anderen Menschen knappen öffentlichen Raum. Und drittens sind Elektroautos teuer(er) und kaum was für Geringverdiener. Die vielzitierte alleinerziehende Krankenschwester braucht also eine andere Alternative.

Nur ÖPNV ist wirklich nachhaltig und sozial. Eine nachhaltige und soziale Stadt ist also eine Stadt, die den öffentlichen Nahverkehr nicht nur erhält, sondern systematisch und mit einer klaren Vision ausbaut und beständig verbessert. Das sind ganz vielfältige Maßnahmen: Dieselbusse ersetzt man durch Elektrobusse, eine Buslinie fährt alle 20 Minuten statt alle 30 Minuten, die alte Straßenbahn wird durch eine moderne und bequeme Niederflurbahn ersetzt. Oder man baut neue Metrolinien dahin, wo es bisher noch keine Metrolinie gab.

Und genau macht Moskau. Seit 2018 wird noch mehr gebuddelt und gebohrt. Es entsteht die 14. (sic!) Metrolinie in Moskau. Sieht führt von der ebenfalls neuen, 2016 eröffneten Moskauer S-Bahn Ringlinie MZK, nach Südwesten bis hinaus ins Moskauer Umland. Moskaus Prestigeboulevard Leninskij Prospekt fehlte schon immer eine Linie, jetzt bekommt er also zumindest teilweise eine.

Im Einsatz sind vier Tunnelbohrmaschinen, bis Ende 2021 sollen große Teile fertig sein. Dass das erst gemeint ist, unterschreibt wahrscheinlich jeder, der an einer der zahllosen Metro-Baustellen wohnt, die Moskau bevölkern. Denn zeitgleich wird auch an der zweiten, der äußeren Metro-Ringlinie gebaut, die in Teilen schon in Betrieb ist.

Das ist also zumindest langfristig alles sehr gut für Pendler und alle Menschen in Moskau.

Aber was bedeutet das alles aus einer politikwissenschaftlichen Governance Perspektive? Erstens, zeigt sich exemplarisch Russlands Managementstyle: Dieser besteht im Wesentlichen darin, aller verfügbaren Ressourcen zu mobilisieren, um ein Ziel zu erreichen. „Wir gewinnen einen ausweglosen Krieg, wir fliegen als erste ins All, wir bauen eine neue Metro“ – Wenn Russen von etwas überzeugt sind, dann tun sie es auch. Es ist nicht unbedingt effizient, wie alle verfügbaren Ressourcen mobilisiert werden, aber es ist ziemlich effektiv.

Zweitens, partizipative Verfahren spielen bisher keine große Rolle. Logik: „Du willst nicht ständig im Stau stehen und schneller zu Arbeit? Dann beschwer dich nicht über eine Baustelle.“ Drittens, und in diesem Sinne, gibt man nicht viel auf die kurz- und mittelfristigen Kosten, die Anwohnern durch die Baustellen entstehen: Fußgängerweg zu, Baulärm rund um die Uhr.

Aus einer vergleichenden Perspektive stellt sich abschließen folgende Frage: Sind demokratische politische Systeme wie Deutschland in der Lage, Nachhaltigkeitsstrategien effektiv, aber auf Grundlage partizipatorischer Prozesse und unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen mit Sozialpolitik umzusetzen? Oder haben hybride Regime oder die sogenannten neuen Willkürherrschaften (John Keane) hier einen scheinbaren Performanz-vorsprung? Aber vielleicht ist das alles auch gar nicht wirklich nachhaltig? Fotos und Details (auf Russisch) zur neuen Metrolinie gibt jedenfalls unter https://www.mos.ru/mayor/themes/231299/6687050/ (abgerufen 04.08.20).

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Sustainability

Klimanotstand – wo gibt es denn so was?

So was gibt es zum Beispiel in Konstanz, oder in Potsdam, oder in Speyer. Sind das nur Einzelfälle und Eintagsfliegen oder tut sich da ein ernsthafter Trend auf?

Eine interessante empirische Studie zum Thema Klimanotstand in deutschen Kommunen hat das IÖW Anfang des Jahres veröffentlicht. Neben den drei genannten haben noch 75 weitere Kommunen bisher den sog. Klimanotstand ausgerufen. Wer tut so etwas, wer initiiert solche Beschlüsse und was kommt am Ende dabei rüber? Dazu hat das IÖW 26 der 78 Klimanotstandskommunen in einem Onlinefragebogen befragt. Den Selbstauskünften der Kommunen zu Folge ist der Klimanotstand mehr als reine Symbolik. In der Mehrheit haben die Stadt- und Gemeinderäte unverbindliche Verpflichtungserklärungen verabschiedet, einige Kommunen gehen aber darüber hinaus aus und installieren Monitoringsysteme. Entscheidender Punkt ist der sog. Klimavorbehalt. Klimavorbehalt bedeutet, dass alle Entscheidungen eines Stadt- und Gemeinderates auf ihre Klimafolgen hin überprüft werden müssen. In den meisten Kommunen mit Klimanotstand ist das unverbindlich, in einigen aber auch verbindlich.

Den Klimanotstand rufen aber nicht nur reiche Kommunen aus, die es sich leisten können, Extramaßnahmen für eine grüne, gebildete und einkommensstarke Klientel auf den Weg zu bringen, die das entsprechend goutiert. Bei der Haushaltssituation gibt es kein klares Bild, wer den Klimanotstand ausruft und wer nicht. Deutlich überpräsentiert sind in der Grundgesamtheit und auch im Sample aber Großstädte.

Wer sind die Agenda-setter, wer macht Druck im Stadt- und Gemeinderat und setzt das Thema dort auf die Tagesordnung? Maßgeblicher Treiber ist der Studie zu Folge Druck von außen, vor allem durch die Schülerbewegung Fridays for Future. Diese agieren dann im Zusammenspiel mit grünen Parteien, um das Thema in den Gemeinderat einzubringen. Umwelt- und klimapolitisch engagierte Mitarbeiter aus der Verwaltung sind ebenfalls ein Motor. Beim Abstimmungsverhalten gibt es keine klaren Muster, sowohl linke und grüne Parteien, als auch christlich konservative Parteien stimmen für den Klimanotstand. Nur die AfD verweigerte in den erfassten 26 Kommunen konsequent eine Zustimmung zum Klimanotstand.

Viele der 26 erfassten Klimanotstandskommunen erstellen schon vorher CO2- und Energiebilanzen, oder schrieben Berichte zu den Themen Verkehr, Wohnen und Wärme. Interessant ist, dass 73% bereits vorher die Bürger in irgendeiner Form bei der Erarbeitung von Klimazielen und Maßnahmen beteiligten.

Die Studie schlussfolgert, dass Klimanotstandskommunen ein neuer Akteur auch für die nationale Klimaschutzpolitik sein können und gezielt gefördert werden sollten.

Die Studie:

Bernd Hirschl, Lena Pfeifer (2020): Kommunen im Klimanotstand: Wichtige Akteure für kommunalen KlimaschutzKurzstudie zu Prozessen, Eigenschaften und Schwerpunkten. Diskussionspapier des IÖW 71/20, https://www.ioew.de/fileadmin/user_upload/BILDER_und_Downloaddateien/Publikationen/2020/IOEW_DP71_Klimanotstand_in_Kommunen.pdf